Im
Wechselfieber der Forschung
Die
Zeit 19.08.04
Nach einer
spektakulären Entdeckung dachte Hassan Jomaa, er hätte ein
Mittel gegen Malaria gefunden. Dann kam die Ernüchterung.
Als
Hassan Jomaa am Ende war, freuten sich einige. Zu steil war sein Aufstieg
gewesen, vom unbekannten Postdoc zum Autor einer aufsehenerregenden
Studie in Science, vom arbeitslosen Wis-senschaftler zum Firmenchef,
vom namenlosen Mediziner zum Malaria-Bezwinger. Als Jomaa Insolvenz
anmelden musste, triumphierten die Neider und schickten ihm anonyme
Glückwunsch-karten.
Das war im Herbst 2002. Mittlerweile steht er wieder im Labor, vor seiner Arbeitsgruppe,
vor Studenten im Hörsaal.
Freitagmorgen, Viertel nach acht an der Universität Gießen. Zum wöchentlichen
Seminar der Arbeitsgruppe Jomaa gibt es Kuchen. Zwei große Bleche Donauwelle.
Die Atmosphäre ist entspannt, die Forscher erklären der neuen Doktorandin,
welches Protein wie isoliert wird und warum die Handbremse an ihrem Auto nicht
funktioniert. Dazu scheint die Morgensonne durch giftgrüne Vorhänge
in den Seminarraum. Das Mobiliar stammt aus den siebziger Jahren, brauner Teppichboden,
Einbauschränke, Einbautische. Hier lässt sich nichts bewegen.
Hassan Jomaa hat es trotzdem versucht.
Die Geschichte vom rasanten Aufstieg und Fall des im Libanon geborenen Mediziners
beginnt 1998. Ein Jahr zuvor war Jomaa von Würzburg nach Gießen gekommen,
um in der Uniklinik als Arzt zu arbeiten. Schnell wendet er sich aber der Grundlagenforschung
zu - auch wenn er dort zunächst nicht bezahlt wird. Nachdem er den Job
in der Klinik gekündigt hat, beginnt er in einem Labor zu forschen, das
ihm sein Mentor, der Biochemie-Professor Ewald Beck zur Verfügung stellt.
Dort macht Jomaa zwei Entdeckungen, die sein Leben vollkommen verändern
sollen. Zuerst findet er bei dem Malaria-Erreger Plasmodium falciparum einen
Stoffwechselweg, der sonst nur bei wenigen Bakterien und Pflanzen vorkommt -
aber nicht beim Menschen. Jomaa erkennt sofort die Bedeutung dieser »DOXP«-Wirkungskette:
Sie wäre ein idealer Ansatzpunkt für neue Medikamente gegen Malaria,
die Seuche, an der jährlich 500 Millionen Menschen erkranken, zwei Millionen
sterben - und gegen die vorhandene Mittel zunehmend unwirksam werden. Die zweite
Entdeckung macht Jomaa am Schreibtisch, als er in einer zehn Jahre alten wissenschaftlichen
Studie blättert. » Ich habe hyperventiliert, bin durch alle Räume
gerannt«, erinnert er sich. In der Publikation wurde die Wirkung des Antibiotikums
Fosmidomycin auf verschiedene Bakterien getestet. Ergebnis: Nur solche Erreger
werden durch Fosmidomycin getötet, die den DOXP-Stoffwechselweg haben.
Gilt das also auch für den Malaria-Erreger?
Jomaa recherchiert: Die Substanz wurde in den siebziger Jahren vom japanischen
Pharmaunternehmen Fujisawa als Antibiotikum ent-wickelt.
Fosmidomycin kam jedoch nie auf den Markt, weil es gegen zu wenige Bakterienarten
wirkt. Inzwischen ist das Patent auf die Substanz abgelaufen.
Jomaa wittert seine Chance, versucht das Antibiotikum selbst herzustellen -
vergeblich. Doch er gibt noch nicht auf. Er bietet Klaus Weidemeyer, einem damals
arbeitslosen Chemiker, für die Synthese der Substanz 1000 Mark aus eigener
Tasche. Der begibt sich an die Arbeit, tut sich zunächst aber schwer.
» Fujisawa hatte die Herstellung absichtlich falsch publiziert«,
sagt Jomaa.
Doch Weidemeyer findet den Fehler. Von da an produziert er Fosmidomycin kilogrammweise.
Der Traum vom großen Geld verflüchtigte sich schnell
Jomaa kann den Wirkstoff endlich zu Kulturen des Malaria-Erregers geben. » Es
war sensationell - die Parasiten waren nach zwei Tagen tot«, sagt er.
Mäuse, infiziert mit tödlicher Nagetier-Malaria, wurden innerhalb
kurzer Zeit gesund. Jomaa bekommt eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter.
Die Ergebnisse werden 1999 im renommierten Magazin Science veröffentlicht.
Im Rausch des wissenschaftlichen Erfolgs will Jomaa mehr, will reich werden
mit seiner Entdeckung. Alles, was er zu der Zeit anpackt, gelingt. Warum nicht
auch eine Unternehmensgründung? Er lässt Fosmidomycin als Malaria-Medikament
patentieren, gründet die Jomaa-Pharmaka GmbH und wird deren Geschäftsführer. » Ich
war völlig naiv, dachte ganz simpel: 500 Millionen Menschen haben Malaria,
wenn wir davon die Hälfte erreichen und an jedem eine Mark verdienen, haben
wir 250 Millionen Mark!«
Direkt gegenüber der Gießener Uniklinik steht ein zweistöckiges
braunes Gebäude mit einem Eckturm. Dort ist heute die Praxis einer Augenärztin,
früher saßen da die beiden Sekretärinnen von Jomaa-Pharmaka. » Eigentlich
hatten wir für 2004 bereits die Weltherrschaft geplant«, sagt er.
Schließlich war die Substanz bereits in den siebziger Jahren klinisch
getestet und für verträglich befunden worden. Jomaa, sein Mentor Ewald
Beck, sogar seine Mitarbeiter steckten große Summen in die Firma. Aber
es war viel mehr Geld nötig, um die Wirksamkeit von Fosmidomycin zu untersuchen.
Die erhoffte Unterstützung durch die Weltgesundheitsorganisation WHO blieb
aus, schließlich gab eine Risikokapitalgesellschaft einen Kredit von 6,8
Millionen Euro.
» Das war die vollkommen falsche Form der Finanzierung«, sagt Jomaa
heute. Die Geldgeber wollten schnell eine Rendite erzielen, das Unternehmen war
davon noch weit entfernt. Im Rückblick sieht Jomaa auch bei sich viele Fehler. » Ich
hätte nie Geschäftsführer werden dürfen.« Er ließ jedes
Verfahren, jede kleine Entdeckung in verschiedenen Ländern patentieren,
gab dafür viel Geld aus. » Wir haben uns benommen wie Aventis, obwohl
wir ein 20-Mann-Betrieb waren.« Im Herbst 2002 war das Geld aufgebraucht,
ein neuer Investor fand sich nicht. Jomaa-Pharmaka musste Insolvenz anmelden. » In
Deutschland bist du dann ein Versager - und in gewissem Sinne stimmt das ja auch«,
sagt Jomaa.
Mittlerweile hat er sich wieder etabliert - obwohl die Arbeitsbedingungen nicht
einfach sind. Jomaa klagt, er sei vor allem damit beschäftigt, Anträge
zu schreiben, Geld zu besorgen. » Ich habe mehr Drittmittel eingeworben
als viele Professoren - dabei bin ich ein Nichts«, sagt er. Man hört
seinen Stolz heraus, es ohne Lehrstuhl dahin gebracht zu haben, aber gleichzeitig
auch Sarkasmus. Trotz guter Ergebnisse in der Forschung ein Niemand zu sein,
ohne den Professorentitel, das fällt dem Aufsteiger Jomaa schwer. Dass
er überhaupt ein Comeback geschafft hat, verdankt er der Europäischen
Kommission, die Geld gab, der Hochschulleitung, die Jomaa wieder Räume
an der Universität Gießen zur Verfügung stellte, und vor allem
seiner Arbeitsgruppe.
Nach der Insolvenz arbeitete diese ohne Bezahlung weiter, baute - nach Feierabend
und am Wochenende - einen heruntergekommenen Stall für Versuchstiere in
ein Labor um. Bis heute kommen ehemalige Doktoranden im Urlaub vorbei, um zu
helfen.
Hassan Jomaa und sein Team sind keine normale Arbeitsgruppe, sie sind eine Glaubensgemeinschaft.
Sie glauben an den Erfolg ihrer Forschung und daran, die Menschheitsgeißel
Malaria besiegen zu können - und sie müssen wohl auch an Hassan Jomaa
glauben, der seine Mitarbeiter in Diskussionen leise mit den Worten unterbricht: »Darf
ich auch mal etwas sagen?«, der aber trotzdem genau zu wissen scheint,
wohin er will. Er ist ein Macher-Typ, er kann Menschen begeistern und mitreißen.
Das sagen auch Kollegen, vom Tropeninstitut in Hamburg, von den Universitäten
Tübingen und Marburg.
Manche allerdings sind skeptisch, was das Malaria-Medikament Fosmidomycin angeht. » Das
Großartige an Jomaas Entdeckung war, dass er den Stoffwechselweg identifizierte
- nicht, dass er einen neuen Wunderwirkstoff gefunden hat«, sagt Rolf
Horstmann vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg.
Wissenschaftler wie er, die schon lange Malaria-Forschung betreiben, wissen,
wie kurz die Halbwertszeit der großen Hoffnungen gegen die Seuche ist.
Schon viele Medikamente und Impfstoffe wurden als Rettung gefeiert - und zeigten
kurz darauf, dass sie untauglich waren. Gerade in dieser Woche wird in der Fachzeitschrift
Nature wieder ein neuer Wirkstoff gefeiert, der im Tierversuch sehr effektiv
ist. Die Substanz Trioxolan 6 wurde allerdings noch gar nicht am Menschen getestet.
So gesehen, ist die Fosmidomycin-Forschung schon relativ weit. Klinische Studien
zeigten, dass die Substanz schnell die Anzahl der Erreger reduziert.
Doch es gab Rückfälle. Erfolgreich war aber eine Kombination aus Fosmidomycin
mit Clindamycin, einem Antibiotikum. Eine Phase-III-Studie, bei der die Wirksamkeit
im Vergleich zu vorhandenen Medikamenten untersucht werden soll, steht noch
aus - und an dieser Hürde scheitern viele Wirkstoffe. Außerdem macht
die Kombination von Fosmidomycin mit Clindamycin ein potenzielles Arzneimittel
teurer, ein Manko für den Einsatz in der Dritten Welt. Ob es jemals ein
Malaria-Medikament geben wird, das auf Jomaas Entdeckung basiert, ist noch längst
nicht sicher.
Der Forscher arbeitet weiter dafür, auch wenn er mit der Insolvenz seine
Patente an eine Hamburger Firma verloren hat. Von einem Forschungserfolg würde
nun diese profitieren. Doch Jomaa gibt sich kämpferisch: »Früher
oder später werde ich die Patente zurückkaufen.« Er sucht wieder
nach Investoren.
Kommt es zur nächsten Unternehmensgründung, will er einiges anders
machen als beim ersten Mal. Geschäftsführer wird er zumindest nicht
mehr. |