Ich,
der Roboter
Die
Zeit 04.10.07
Mit 29 Jahren
war er bereits Professor in Nashville, Tennessee. Dort erforscht der
Bioinformatiker JENS MEILER die Struktur von Proteinen und baut am Computer
neue Antibiotika
Die
anderen, die nach Nashville kommen, um ihr Glück zu machen, tragen
Cowboyhut, Lederstiefel und unter dem Arm eine Gitarre. Sie singen
in den Straßen und Bars für den Durchbruch. Die Hauptstadt
von Tennessee ist die Metropole der Country-Musik. Jens Meiler trägt
Sandalen, dunkelblaue Socken, Igelhaarschnitt er ist nach Nashville
gekommen, um zu forschen. Den ersten Durchbruch hat er hinter sich.
Mit 29 ist er hier zum Professor berufen worden.
Vor zweieinhalb Jahren trat er die Stelle an. Sechs Angebote hatte er von deutschen
Hochschulen: Juniorprofessor hätte er werden können, Nachwuchsgruppenleiter,
Young Investigator. Doch er entschied sich für die USA. »In Deutschland
hätte ich mir erst Geld besorgen müssen, um mit dem Forschen anfangen
zu können«, sagt er. »In Nashville konnte ich ab dem ersten
Tag Personal einstellen.« Wenn er bei den Evaluierungen gut abschneidet,
gibt es an der Vanderbilt University, der Elitehochschule im Westen der Stadt,
eine lebenslange Stelle für ihn. »In Deutschland läuft eine
Nachwuchswissenschaftler-Stelle fünf Jahre und wenn man dann nicht in kurzer
Zeit eine Professur bekommt, ist die Forscherkarriere beendet.«
Einzig das Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen
hatte ihm vergleichbare Bedingungen geboten da hatte Meiler allerdings schon
in Nashville zugesagt. Als Assistant Professor leitet er inzwischen eine Gruppe
von 20 Wissenschaftlern. Das ist vergleichbar mit einem C4-Lehrstuhl, der am
besten ausgestatteten Professur in Deutschland.
Was mit klassischen Methoden Jahre dauert, schafft der Rechner in Stunden
Mittwochnachmittag, 15 Uhr. Die Sonne brennt auf den als Botanischen Garten
angelegten Campus. 11600 Studenten sind an der Vanderbilt University eingeschrieben,
sie bezahlen 35000 Dollar Gebühren im Jahr. Einige sitzen unter den Sonnenschirmen
von Starbucks, arbeiten an Laptops. Gegenüber in Jens Meilers klimagekühltem
Büro klingelt das Telefon, er hebt den Hörer ab.
» Hi, how are you doin?« Meilers Englisch klingt sehr amerikanisch.
Am Draht ein Forscher, mit dem er kooperiert. Meiler klickt am Computer ein Fenster
auf und diskutiert mit dem Anrufer das bunte Knäuel, das am Bildschirm erschienen
ist die schematische Abbildung eines Eiweiß.
Seine Gruppe arbeitet im zurzeit spannendsten Gebiet der Lebenswissenschaften:
Proteomics, Proteinforschung. Viele Genome sind entschlüsselt. Trotzdem
weiß man noch wenig darüber, wie das Leben funktioniert denn das
wird von Proteinen bestimmt. Meist ist bekannt, wie diese aufgebaut sind, aus
welchen Aminosäuren sie bestehen. Unbekannt ist aber fast immer die 3-D-Struktur
der Eiweiße, also wie sich die Aminosäureketten falten, um in der
Zelle ihre Funktion zu erfüllen. Nur von 0,7 Prozent der bekannten Proteine
kennt man die Struktur. Noch drastischer ist die Situation bei Membranproteinen,
die in der Medizin große Bedeutung haben: 50 Prozent aller Arzneien binden
an Membranproteine, doch nur von 0,04 Prozent dieser Eiweiße kennt man
die Struktur.
Früher lernten Biologen und Chemiker im Studium: Aus der Aminosäuresequenz
könne man nicht ableiten, wie das funktionstüchtige Protein gefaltet
sei, zu komplex seien die Moleküle mit bis zu 100000 Atomen, zu uneinheitlich
ihre Struktur. Heute ist die Wissenschaft weiter dank Computermodellen. Aus
den bekannten Strukturen errechnen Programme, wie das unbekannte Molekül
aussehen könnte.
Jens Meiler und sein Team entwickeln solche Programme. Die Kunst ist dabei,
Regeln zu erkennen, nach denen ein Protein aufgebaut ist. Wie groß ist
der Abstand zwischen zwei Aminosäuren, welcher Winkel besteht zwischen
zwei chemischen Gruppen? Nach und nach integrieren die Forscher neues Wissen
in ihr Programm. Mit den klassischen Verfahren der Röntgenstrukturanalyse
oder der Kernresonanzspektroskopie dauert es Jahre, bis man die Struktur eines
Proteins ermittelt hat. Computerprogramme schaffen das binnen Stunden. Sie sind
jedoch umso ungenauer, je mehr die Abfolge der Aminosäuren von bekannten
Proteinen abweicht. »Auch bei einem völlig unbekannten Protein können
wir vorhersagen, wie sich die Kette im Raum anordnet«, sagt Meiler, »aber
um die Position der chemischen Seitengruppen zu bestimmen, reicht die Genauigkeit
noch nicht.« Die Bioinformatik kann die Röntgenstrukturanalyse also
nicht ersetzen, aber sie ist manchmal der einzige Weg, sich der Struktur eines
Proteins anzunähern. Alle zwei Jahre gibt es einen weltweiten Wettbewerb
der Vorhersager Meilers Prognosen gehören immer zu den besten.
Die Computerprogramme können aber mehr als Vorhersagen. Mit ihnen lassen
sich Proteine für medizinische Anwendungen designen: Meiler versucht gerade
ein Eiweiß zu entwickeln, das als Antibiotikum gegen multiresistente Bakterien
wirkt. Einen neuen Wirkstoff hat er noch nicht gefunden, »aber wir machen
Fortschritte«.
» Nuh«, sagt Meiler auf dem Rundgang, mit deutlich sächsischem
Akzent, »dann göht das hier weida.« Seine Mitarbeiter forschen
in einem Labor und vier Computer-Räumen, die durch Glasscheiben voneinander
getrennt sind. In einem unterhalten sich zwei Wissenschaftler, wieder Deutsch
mit sächsischem Einschlag. Sechs aus Meilers Gruppe kommen aus Leipzig. »Ich
nehme gerne deutsche Studenten, weil ich die Kultur kenne da arbeitet es sich
dann gut zusammen«, sagt Meiler. »Und sie sind sehr gut ausgebildet.«
Als Schüler unterrichtete er Schüler. Sie sind ihm nach Nashville
gefolgt
An der Vanderbilt University hat sich seine Gruppe den Ruf erarbeitet, hochbegabt,
wissenschaftsfixiert und ungemein fleißig zu sein. »Jens Robots
Jens Roboter«, spotten Doktoranden aus anderen Gruppen. Meiler lebt den
Fleiß vor, arbeitet jeden Tag zwölf Stunden, am Wochenende sechs. »Die
meisten Arbeitsgruppen hier sind dynamischer als in Deutschland«, sagt
er. »Da muss man sich schon anstrengen, um zu bestehen.«
Meiler besteht nicht nur, er ist erfolgreich. Gerade hat er ein Stipendium über
eine Million Dollar von den National Institutes of Health der USA bekommen.
Sein Antrag gehörte, nach dem Ranking der Behörde, zu den besten 150
von 14500 eingereichten Anträgen. »Das ist außergewöhnlich«,
sagt sein Doktorvater Christian Griesinger, heute MPI-Direktor in Göttingen.
Jens Meilers Weg in die Wissenschaft war, wie er sagt, »vorprogrammiert«.
Er wuchs in der DDR auf, sein Vater habilitierte in Physik, seine Mutter lehrte
als wissenschaftliche Assistentin Informatik an der Universität Leipzig.
Als Sechstklässler lernte er seine erste Programmiersprache: »Die
Mutti hat mir Basic beigebracht.« Das war 1987, und in der DDR war es
kaum möglich, einen Computer zu bekommen. Der Vater besorgte am Rand einer
Tagung in Österreich einen portablen Sinclair ZX Spectrum mit der Leistung
eines heutigen Taschenrechners, Datenträger Musikkassette, 3,5 Kilogramm
schwer. Auf ihm schrieb Jens seine ersten Programme, eine grafische Aufbereitung
des mathematischen Beweises für den Innenwinkelsatz.
Seine Begabung fiel auf. Wie Nachwuchssportler wurden in der DDR auch mathematisch-naturwissenschaftliche
Talente in Eliteeinrichtungen gefördert. Die Erfahrung, nicht mehr überall
der Beste zu sein, »hat mich zusätzlich motiviert«, sagt er.
In der neunten Klasse studierte er parallel das erste Semester Chemie das Fach,
das er auch nach seinem Einser-Abitur wählte. Er stand in den Labors der
Uni Leipzig, machte Analysen, aber seine Leidenschaft blieb das Programmieren. »Das
Faszinierende daran ist, dass ich den Computer dazu bringen kann, meine Idee
auszuführen«, sagt er. »Und wenn etwas nicht funktioniert,
ist es immer mein Fehler, den ich beheben kann. Bei experimentellen Arbeiten
ist das nicht so.« In seiner Doktorarbeit an der Universität in Frankfurt
am Main stand das Programmieren im Vordergrund. Genauso bei seiner Postdoc-Stelle
in Seattle bei David Baker, dem Pionier der Proteinstrukturvorhersage.
Seit sechs Jahren wohnt Meiler in den USA, mit seiner ebenfalls aus Leipzig
stammenden Frau und dem 15 Monate alten Sohn Jonas. Die Konsumkultur ist ihm
fremd geblieben. Er geht zu Fuß zur Arbeit oder fährt mit dem Bus.
Einen Fernseher hat er nicht, die Abende verbringt er mit Brettspielen oder
der Lektüre von Büchern. Den idealistischen Forscher nimmt man ihm
ab. Der reine Kapitalismus bleibt ihm suspekt. »Ich könnte mir nicht
vorstellen, mein Leben nur dem Anhäufen von Materiellem zu widmen.« Als
er selbst noch Schüler war, unterrichtete er Fünftklässler in
Chemie. Während des Studiums stand er morgens um sechs Uhr auf, um sie
weiter zu betreuen. Sie gewannen erste Plätze bei der Chemie-Olympiade
und bei Jugend forscht; zwei seiner Zöglinge von damals sind ihm bis nach
Nashville gefolgt und arbeiten heute in seiner Gruppe. »Ich selbst habe
sehr davon profitiert, früh gefördert worden zu sein«, sagt
Meiler. »Das versuche ich zurückzugeben.«
Es ist 18 Uhr geworden. Jens Meiler hat vier Besprechungen hinter sich. Der
25-jährige Doktorand Nils Wötzel, der Meiler seit seinem fünften
Schuljahr kennt, kommt herein. »Lust auf eine Partie Schach?«, fragt
er. Meiler schiebt das Spielbrett vom Rand des Schreibtischs ins Zentrum. »Klar
drei Minuten?« fragt er. In wüstem Tempo schieben die beiden ihre
Figuren über das Spielbrett, hauen auf die Schachuhr. 50 Züge in drei
Minuten. »Mist«, ruft Meiler. Verloren. Eine zweite Partie; sie
endet Remis. »Schach gleicht meiner Arbeit«, sagt er. »Man
kommt mit Logik weiter aber das Spiel ist zu kompliziert, um vorauszusehen,
was alles passieren kann.« Dann geht er zum Bus.
Der Mensch ... Jens Meiler, 33, ist Professor für Protein-Strukturbiologie
an der Vanderbilt University in Nashville, USA. Er wuchs in der DDR auf, als
Sohn eines Physikers und einer Mathematikerin. Früh lernte er zu programmieren,
gewann Preise bei »Jugend forscht« und der Chemie-Olympiade. Heute
betreut er Jugendliche bei Forschungsprojekten. Trotz Chemiestudium blieb das
Programmieren seine Leidenschaft. / ...und seine Idee / Proteine sind an fast
allen Lebensvorgängen beteiligt und damit auch Ansatzpunkte für Medikamente.
Doch von 99 Prozent der Eiweiße ist die dreidimensionale Struktur unbekannt.
Jens Meiler entwickelt Computerprogramme, die vorhersagen, wie Proteine gefaltet
sind. Damit designt er auch neue Eiweiße, zum Beispiel ein Antibiotikum,
das gegen multiresistente Bakterien wirken soll.
Der Mensch ... Jens Meiler, 33, ist Professor für Protein-Strukturbiologie
an der Vanderbilt University in Nashville, USA. Er wuchs in der DDR auf, als
Sohn eines Physikers und einer Mathematikerin. Früh lernte er zu programmieren,
gewann Preise bei »Jugend forscht« und der Chemie-Olympiade. Heute
betreut er Jugendliche bei Forschungsprojekten. Trotz Chemiestudium blieb das
Programmieren seine Leidenschaft. / ...und seine Idee / Proteine sind an fast
allen Lebensvorgängen beteiligt und damit auch Ansatzpunkte für Medikamente.
Doch von 99 Prozent der Eiweiße ist die dreidimensionale Struktur unbekannt.
Jens Meiler entwickelt Computerprogramme, die vorhersagen, wie Proteine gefaltet
sind. Damit designt er auch neue Eiweiße, zum Beispiel ein Antibiotikum,
das gegen multiresistente Bakterien wirken soll. |