Der unbeugsame Clown
Frankfurter Rundschau MAGAZIN 20.01.07
Er kritisiert den Film "Mein Führer", in dem er die Hauptrolle spielt. Er spielt Jazz, wenn das Publikum Klamauk fordert. Backstage mit Helge Schneider.


Es kracht, Helge Schneider wuchtet seinen blechernen Instrumenten-koffer auf eine Metallkiste. Vor einer halben Stunde ist er von der Bühne der Erfurter Messehalle gekommen, sein erster Auftritt nach der Premiere des Kinofilms "Mein Führer", in dem er die Hauptrolle spielt. 3000 Zuschauer haben ihm zugejubelt, zweieinhalb Stunden lang. Jetzt kommt er in Lederjacke mit frisch gewaschenen Haaren in den Backstageraum, schmucklose Wände, davor ein kleines Buffet mit Käse, Brötchen und Zwieback, der Kühlschrank surrt durchdringend. "Na, geht's, gut ", fragt er den jungen Mann, der sich ums Catering kümmert. Gedämpft unterhalten sich Manager, ein paar Gäste und Musiker aus seiner Band, darunter Schlagzeuger Pete York und Gitarrist Sandro Giampietro, beide bekannte Größen an ihren Instrumenten. "Ihr habt alle gut gespielt heute - auch die Alten", ruft Helge Schneider. Und näselt dann: "Aber es gab leider diesen einen großen Fehler, der mich veranlasst, die Band aufzulösen." Die anderen lachen.
Helge Schneider ist wieder zu Hause: auf Tour als Komiker und Musiker, unterwegs mit Freunden und langjährigen Weggefährten wie dem rauschebärtigen Sergej Gleitmann und seinem Manager Till Oellerking. An diesem Abend spürt man, dass er sich treu geblieben ist, dass er nicht abgehoben hat. Daran haben auch der Publikumserfolg und die Diskussion um den Film "Mein Führer" nichts geändert. Er fand die Komödie nicht lustig - und hat das in Interviews gesagt. Ein Hauptdarsteller, der seinen Film vor dem Kinostart heftig kritisiert: das kommt fast nie vor. Für die PR-Kampagne eine Katastrophe. Aber Helge Schneider sagt, was er denkt. Für ihn haben die Gesetze des Showbusiness noch nie gegolten. Jahrelang ist er durchs Ruhrgebiet getingelt für ein paar Mark und warme Mahlzeiten. Als nach 20 Jahren der große Erfolg kam und das Publikum bei seinen Auftritten Klamauk sehen wollte, hat er einfach nur Jazz gespielt - und zu Fototerminen kommt er heute noch in Jogginghose, wenn seine Klamotten in der Wäsche sind. Das Ergebnis: Helge Schneiders Konzerte sind ausverkauft, seine Bücher sind Bestseller, seine CD's in den Charts, den Film "Mein Führer" haben nach einer Woche schon über 400 000 Menschen gesehen.
Der Auftritt des Starkomikers in Erfurt, ausverkauft. Auf den Rängen und im Parkett brüllen einige Fans:"Helge!" Das Saal-Licht erlischt, die Musiker kommen unter Applaus auf die Bühne und beginnen zu spielen, Helge Schneider fehlt. Nach einigen Minuten stürmt er auf die Bühne, er hat eine Fliegermütze an und trägt eine riesige Damensonnenbrille aus den 70er Jahren, sein festgestelltes Grinsen wirkt, als ob er wahnsinnig sei. Das Publikum johlt, Helge Schneider dreht Pirouetten, rennt auf der Bühne hin und her. Völlig außer Atem beginnt er zu singen: "Du bist meine Supermaus für dich zieh' ich - nicht aus…" Immer wieder muss er selbst lachen. Beifallsstürme, Kreischen im Zuschauerraum.
Vieles, was Komiker hierzulande auf die Bühne bringen, ist ein Aufguss von Ideen aus den USA und Großbritannien. Bei Helge Schneider ist das anders. Seine Mischung aus Jazz und Klamauk, aus Derbheit und Kindlichkeit, aus Selbstironie und Sich-Lustig-Machen ist einmalig. Er setzt sich auf einen Stuhl auf der Bühne und erzählt, wie er als Neunjähriger in seine Lehrerin verliebt war und wie er mit dem Kompliment "geiler Arsch" bei ihr abblitzte - noch heute unverständlich, wie er sagt. Er singt eine Hymne auf das "Käsebrot" ("Auf der ganzen Welt wird sehr viel verzehrt, doch ein richtiges Käsebrot wird regelrecht verehrt."), er, der sich selbst als intelligent, aber ungebildet bezeichnet, spielt den Vollidioten, der nicht weiß, was "Eloquenz" ist (siehe nebenstehendes Interview). Helge Schneider ist ein begnadeter Jazz-Musiker, ein bodenständiges Original aus dem Ruhrpott und ein Anarchist aus einer anderen Welt. Mit dieser Mischung schwebt er über allem, wird sowohl von Stefan Raab als auch von Christoph Schlingensief geschätzt - und von Millionen Fans. Bei seinen Konzerten kommen Menschen zusammen, die sonst keine Veranstaltung gemeinsam besuchen würden. Junge Männer mit Eishockey-Trikots, verhärmte Jazzfans mit Lederjacken, ganze Familien inklusive Kindern.
Helge Schneider, der seit seiner Geburt 1955 in Mülheim an der Ruhr lebt, hat einmal gesagt, er könne eigentlich nur Klavier spielen - und Quatsch machen. "Meinen Beruf habe ich selbst erfunden." Es wird von vielen Menschen behauptet, sie seien unbeirrt ihren Weg gegangen. Bei Helge Schneider stimmt es. Mit 15 Jahren, er besucht ein Gymnasium, schwänzt er ständig die Schule, interessiert sich nur für Musik, Haschisch-Rauchen und Mädchen. Ein Psychiater diagnostiziert bei ihm einen krankhaften Wandertrieb, stellt ihm für ein paar Wochen ein Attest aus. Trotzdem fliegt Helge Schneider von der Schule. Zur Realschule bringt ihn sein Vater mit dem Auto: Helge geht zum Vordereingang rein und zum Hintereingang wieder heraus. Einen Abschluss macht er auch hier nicht.
Er arbeitet als Zeitungsausträger, Landschaftsgärtner und Straßenfeger. Aber eigentlich will er nur eines: auf die Bühne und Musik machen. Mit 17 besteht er die Begabten-Aufnahmeprüfung am Konservatorium Duisburg. Doch sein Freiheitsdrang ist größer. Nach kurzer Zeit bricht er die klassische Klavier-Ausbildung ab. Er spielt lieber Jazz, tingelt damit ab Anfang der 70er Jahre durch Clubs im Ruhrgebiet, mit mäßigem Erfolg. Erst als 1982 seine erste Tochter geboren wird, bringen ihn Existenzängste dazu, offensiver eine Erfolgsstrategie zu suchen. Er weiß, dass er ein guter Musiker ist und dass er Menschen zum Lachen bringen kann. Zu dieser Zeit malt er Plakate, auf denen er sich als singende Herrentorte und peinlichsten Entertainer der Welt ausgibt. In seinen Bühnenprogrammen trägt er zu jener Zeit schräge Perücken und mischt Jazz mit Slapstick. Nach und nach wird er in Nordrhein-Westfalen ein bekannter Kleinkünstler, 1989 nimmt er seine erste Platte ("Seine größten Erfolge") auf. Der Durchbruch kommt für Helge Schneider 1993 mit dem Album "Es gibt Reis, Baby", inklusive der Single "Katzeklo". Damals ist er 38 Jahre alt. "Helge Schneider hat immer sein Ding gemacht - und letztlich hat der Markt ihn gefunden und nicht umgekehrt", hat Harald Schmidt einmal gesagt.
Das Publikum in Erfurt lacht schon, wenn Helge Schneider nur in seiner typischen Art nuschelt: "Ich ziehe den Stuhl wieder ans Klavier ran." Wenn er ein Blockflötensolo gibt. Oder wenn er mutmaßt, was sonst so in der Halle stattfindet. "Pudelweltmeisterschaft, Esel-Anfassen und so was." Ein großer Teil seines Programms ist improvisiert, sowohl die Musik als auch die Texte. Das unterscheidet ihn von den vorgegarten Comedy-Produkten, bei denen gleich mehrere Gag-Schreiber im Hintergrund an den Pointen tüfteln.
" Strafjazz", also Musik ohne Komik-Einlagen, spielt Helge Schneider schon mal, wenn die Zuschauer mit Zwischenrufen stören. Aber in Erfurt gibt es dafür keinen Anlass. Zwei Mal kommt die Band zurück, um Zugaben zu geben, frenetisch gefeiert vom Publikum. Enttäuschtes Aufstöhnen, als das Licht im Saal wieder angeht und Helge Schneider trotz anhaltendem Applaus nicht mehr zurückkommt.
Hinter der Bühne. "Habt ihr Butter gesehen " Helge Schneider sucht sich die Zutaten für ein Käsebrot zusammen und unterhält sich mit seinem Manager über den Film "Mein Führer" und den Regisseur Dani Levy. Er wirkt für einen Moment ernst und nachdenklich."Ich habe Dani so viele Vorschläge gemacht, wie man den Film verbessern könnte, aber er hat kein Interesse daran gehabt", sagt Schneider. Trotz seiner Kritik am Film machte Schneider die Promotion-Termine mit, wohl, um Dani Levy, den er als seinen Freund bezeichnet, nicht im Stich zu lassen. Allerdings in seiner kauzigen Art, ohne vorzutäuschen, ihm gefalle der Film, ohne seine Kritik zu dementieren.
Nach der Film-Premiere in Essen verbeugten sich Regisseur und Schauspieler unter lautem Applaus. Levy reicht Schneider auf der Bühne das Mikrofon, der nuschelte etwas Unverständliches und gab Levy das Mikrofon zurück. "Helge Schneider möchte jetzt nichts sagen." Anfang der Woche trafen die beiden dann in der ARD-Talkshow "Beckmann" zusammen - und das wirkte zum Teil so, als ob ein Cowboy versuchte, ein wildes Pferd einzufangen. Schneider: "Ich hätte den Hitler lieber ohne Maske gespielt." Levy mit verzweifelter Stimme: "Aber du warst doch glücklich über die Maske!" Schneider: "Ich fand sie nachher doch nicht so schlecht, ja."
Zurück im Backstageraum, Helge Schneider hat sein Brot gegessen. Ein paar Fragen zu "Mein Führer" gilt es noch zu klären.
Was sagt eigentlich Dani Levy zu Ihrer Kritik an "Mein Führer"
Ich glaube, er hat das verstanden. Ich habe mich von meiner Rolle ja auch nicht distanziert. Aber die Endfassung ist nicht so, wie es im Drehbuch stand.
Es ist ungewöhnlich, vor dem Kinostart seinen eigenen Film zu kritisieren.
Eigentlich ist es doch eher unnormal, wenn man etwas, was man nicht mag, als etwas Tolles anpreist.
Was hat Sie gestört
Die Geschichte ist geändert worden. In der ursprünglichen Fassung ist Hitler der Erzähler. Er ist 116 Jahre alt, lebt in einem Luxus-Wellness-Hotel und sagt: Wenn ihr mich zurück haben wollt, komme ich wieder. Das ist ein ganz anderer Film.
Ralph Giordano und der Zentralrat der Juden haben sich trotzdem empört.
Die Kritik muss Dani Levy aufnehmen und nachdenken, ob er das nicht vielleicht hätte besser machen können.
Würden Sie noch mal unter einem anderen Regisseur als sich selbst drehen
Weiß ich nicht.
Sie sind froh, dass der Rummel um den Film jetzt vorbei ist
Klar, ich muss doch komponieren!
Manager Oellerking öffnet eine Flasche Rotwein. "Zu 'Mein Führer' ist jetzt alles gesagt." Helge Schneider ist ohnehin schon woanders mit seinen Gedanken. Er hat in der Lokalzeitung eine Taufanzeige gefunden. "Guckt euch das an: Ist das nicht ein toller Name " Er nimmt sein Handy aus der Tasche und fotografiert mit der eingebauten Kamera die Anzeige. Das Mädchen heißt Jenny Unbekannt.
ProfilReportagenInterviewsKontakt