Von gestern
Frankfurter Rundschau MAGAZIN 03.12.05
Manche lachen über ihn, andere sind gerührt. Klaus Beyer singt Beatles-Lieder. Auf Deutsch. Seit 30 Jahren.

Dieses könnte eine traurige Geschichte sein, die Geschichte eines arbeitslosen Mannes, 53 Jahre alt, wohnhaft in der schäbigsten Ecke von Berlin-Kreuzberg. Aber die Geschichte von Klaus Beyer ist anders. Er hat einen Fanclub, er gibt Autogramme, er hat Bühnenauftritte - und das hat mit den Beatles zu tun und mit seiner ehemaligen Nachbarin Gabi Poschmann.
„ Danke, danke, bis zum nächsten Mal!“, ruft Klaus Beyer, das Mikrofon in der rechten, das Kabel in der linken Hand. Das hört sich mit seiner hohen Stimme so an wie Kermit aus der Muppet Show. Die Zuschauer skandieren „Zugabe, Zugabe!“ Dann fangen einige an zu singen: „Wir sind im gelben Unter-wasser-boot, Unter-wasser-boot, Unter-wasser-boot.“ Klaus Beyer übersetzt Beatles-Lieder ins Deutsche und singt sie zu Musik vom Band auf Konzerten. Die Version von „Yellow Submarine“ ist sein Hit. Beyer kommt mit Kapitänsmütze zurück auf die Bühne. „So, ich muss ganz schnell noch die Kassette wechseln und dann geht es gleich weiter.“ Jubel, Beyer beginnt zu singen, die Fans stimmen ein und klatschen mit. Beyer dirigiert die Menge und lächelt verzückt. Als er das Mikrofon schon weggelegt hat, singen die Fans weiter, minutenlang - auf dem Fernsehschirm. Klaus Beyer sitzt in der Einzimmerwohnung, in der er seit 27 Jahren wohnt. Er kichert, als er die Videoaufzeichnung von einem seiner Konzerte sieht. „'Das gelbe Unterwasserboot' ist der Favorit, absolut, die hören gar nicht mehr auf, das ist meistens so.“ Beyer liebt es aufzutreten, man sieht es ihm an.
Begonnen hat alles Ende der 60er Jahre. Beyer war 17 Jahre alt. In der Radiosendung „Schlager der Woche“ auf RIAS-Berlin hörte Beyer zum ersten Mal „Here comes the sun“ von den Beatles. Vorher hatte er die Bee Gees gemocht, aber danach gab es für ihn nur noch die Fab-Four, er besorgte sich alle Platten. Weil seine Mutter kein Englisch verstand, nahm er sich ein Wörterbuch und übersetzte zuerst „Here comes the sun“ und dann weitere Songs für sie, möglichst wörtlich, nur reimen mussten sich die deutschen Texte.
Sein Vater schimpfte: „Spiel nicht so viel Tonband, du bist den ganzen Tag am Tonband.“ Beyer erinnert sich noch gut an diesen Satz. Mehr als zehn Jahre bastelte er an seinen Songs herum, ohne dass die jemand beachtete. Als er dann die „Die Sonne kommt“ im elterlichen Wohnzimmer vorsang, zu den Klängen aus seinem Tonbandgerät, freuten sich seine Eltern - und die Nachbarin Gabi Poschmann war begeistert. Sie besorgte Beyer seinen ersten Auftritt in einem Club namens „Thrash“. Dort stand er kurze Zeit später auf der Bühne. Er hyperventilierte, war so aufgeregt, dass er kaum singen konnte. Die Zuschauer buhten ihn aus, Gabi Poschmann sprang auf die Bühne, um Beyer zu verteidigen. Der Auftritt wurde abgebrochen. Aber Beyer machte weiter.
Zum 25. Todestag von John Lennon bringt er seine siebte Platte mit Beatles-Interpretationen heraus - das heißt man kann sie im Internet bestellen und in zwei Plattenläden kaufen. Die CD heißt „Helft!“ und ist seine Version des „Help“-Albums, unter anderem mit den Stücken „Gestern“ („Yesterday“), „Sie hat ne Karte zur Fahrt“ („Ticket to ride“) und „Du machst mich hitzig, Miss Lizzy“ („Dizzy Miss Lizzy“).
Klaus Beyer, Vollbart, über dem Bauch spannendes Hemd, ist voll konzentriert. Vor ihm stehen zwei alte Tonbandgeräte, eines zum Abspielen, das andere zum Aufnehmen. Er ist dabei, sich aus einem Beatles-Titel mit Gesang ein Instrumental-Stück herzustellen, auf das er später selbst singen kann. Beyer trägt einen dicken Kopfhörer, daraus kommen leise die ersten Takte von „The night before“, einem Stück von der Platte „Help“. Er schlägt mit der rechten Hand den Takt in die Luft, atmet schwer „Und Stopp!“, ruft er. Klack, klack. Er hält die Tonbänder an, spult zurück und nimmt noch mal die gleichen Takte ohne Gesang auf, viermal für jede Strophe. „Das ist natürlich jetzt nur ein Akkord“, sagt Beyer. „Aber das reicht für mich.“ Beyer stellt einen Mikrofonständer in die Mitte des Wohnzimmers, in der Hand hält er einen Zettel mit dem Text des Liedes. Dann startet er das Tonband mit dem Zusammenschnitt - und beginnt zu singen. „In der Nacht zuvor…“
Fünf Minuten später nimmt Beyer die Spule vom Aufnahmegerät und legt sie auf das Abspielgerät. Das Ergebnis von „In der Nacht zuvor“ klingt nicht sehr harmonisch, ein paar Akkorde mehr hätten dem Stück gut getan. Manchmal prescht ein Motorrad am Fenster vorbei oder ein LKW , während er singt. Dann muss Beyer das Tonband stoppen und von vorne anfangen.
Seine Einrichtung hat den Charme eines Jugendzimmers aus den 70er Jahren. Teppichboden und Sessel in Orange-Braun, eine Furnier-Schrankwand mit Klappbett, an den Wänden Regale mit Videokassetten, Tonbändern und CD's. In dieser Wohnung spielen auch die meisten seiner Super-8-Filme, darunter viele Beatles-Lieder-Verfilmungen, so hat er „Yellow Submarine“ nachgedreht, mit einem fünf mal zwei Meter großen, auf ein weißes Laken gemalten U-Boot. Frank Behnke, ein Freund Beyers, der ihm die Organisation des Musikerlebens abnimmt, gefällt die Einrichtung. „Er sagt immer: 'Lass das doch, ist doch schön.' Ich würde schon gerne mal etwas neues haben - aber ich habe nicht soviel Geld.“ Beyer ist arbeitslos seit acht Jahren.
29 Jahre hat er als Kerzenwachszieher gearbeitet, hat an einer Maschine Dochte durch heißes Wachs geführt und mit einer heißen Säge daraus Kerzen geschnitten. 1994 zog die Kerzenfirma um, von Berlin nach Ostfriesland. Klaus Beyer zog mit, doch mit seinem Chef kam er bald nicht mehr klar. Dem waren seine Auftritte suspekt, er wollte, dass Beyer damit aufhört. Der Unternehmer sei eifersüchtig gewesen, sagt Behnke. Schließlich habe er den langjährigen Angestellten unter Druck gesetzt, bis der selbst kündigte. Beyer sei dieser Abschied sehr schwer gefallen. Der erzählt selbst nichts davon. Beyer ging zurück nach Berlin und ist seitdem arbeitslos. „Aber dafür bin ich den Chef losgeworden, das ist eher eine Befreiung.“
Beyer legt eine zweite Videokassette in den Rekorder, die mit „Zum 20. Todestag von John Lennon“ beschriftet ist. Etwa 100 Zuschauer sind im Saal zu sehen, gerade ist Pause zwischen zwei Songs. „Jetzt noch ein Lied von den Beatles.“ Beyers sehr schüchtern. „Aber: das habe ich noch nie auf einer Bühne gesungen!“ Gejohle im Publikum, „Spot an!“, ruft jemand. „Ja, ein Spott auf mich“, ruft Beyer. Schallendes Gelächter im Publikum, Beyer lacht mit. „Und nun“, Beyer verlangsamt seine Stimme, als ob er Paul McCartney persönlich ankündigen wolle. „Das neue Lied, es heißt: 'I'm a loser'„ Und dann singt er mit brüchiger Stimme: „Ich verliiiiere! Ich verliiiere! Ich bin doch nicht, was ich denk' zu sein.“
Es gibt zwei Arten von Leuten, die zu Konzerten von Klaus Beyer kommen. Diejenigen, die seine Texte lustig finden, aber gleichzeitig begeistert sind von seinem Einfallsreichtum und gerührt von seinem Enthusiasmus. Und diejenigen, die ihn irre finden und auslachen. Welche Gruppe auch die Mehrheit stellt im Publikum, Beyer stört sich nicht daran. „Och, ich habe nichts dagegen, wenn die Leute lachen, vieles ist ja auch lustig gemeint. Es kommt manchmal vor, dass einer ruft: 'Runter von der Bühne'. Alle anderen freuen sich, nur einer ruft. Ich reagiere da gar nicht drauf, ich mache einfach mein Ding weiter.“ Nur an ein Konzert in Hoyerswerda erinnert er sich mit Schrecken. Noch während des ersten Liedes, sind die Zuschauer gegangen - alle. Beyer hat einfach weiter gespielt, weil von dem Konzert ein Videomitschnitt gemacht werden sollte. Frank Behnke holte ihn schließlich von der Bühne.
Auf dem Fernsehschirm hat Beyer sein Lied beendet, bedankt sich für den Applaus. „Das nächste Lied ist für eine ehemalige Freundin.“ „Yoko Ono!“, schreit jemand im Publikum. „Nein, nein…“ Beyer lacht verlegen, geht auf der Bühne hin und her, den Blick zum Boden gerichtet. „Sie heißt, sie hieß, also sie heißt: Sachiko. Aus 'Oh Yoko' habe ich 'Sachiko' gemacht - natürlich auf Deutsch!“ Er beugt sich nach rechts, schaltet das Kassettendeck an, es erklingt die Klaviermelodie des John Lennon Stücks „Oh Yoko“. Beyer schnippt mit den Fingern, tänzelt von einem Bein auf das andere. „Plötzlich in der Nacht, plötzlich in der Nacht da ruf' ich dich, ooh Sa-chi-ko…“
Der Beyer auf der Couch vor dem Fernseher schaut für einen Moment ein bisschen traurig. „Sachiko war zwei Monate lang meine Freundin, aber dann ist sie zurück nach Japan gegangen. Ich wollte ihr das Lied immer schicken, aber ich weiß gar nicht, wo sie jetzt wohnt.“ Er lächelt schon wieder. „Ich habe ja wieder eine Freundin, auch nicht hier in Berlin, aber nicht ganz so weit wie Japan - in Oberhausen.“ Er lernte sie nach einem Konzert kennen, sie wollte 100 Autogramme von ihm, auf Postkarten mit Blumen, Beyer gab ihr erst einmal 10, sie kamen ins Gespräch. „Ja, so bin ich zu der Freundin gekommen.“ Er schaut auf die Hülle der Videokassette. „Das ist ja sogar in Oberhausen.“ Er klingt ganz aufgeregt. „Ja, da muss sie dabei gewesen sein, bestimmt!“
In den 90er Jahren hatte Beyer einen Fernsehauftritte bei Götz Alsmann. Moderator Friedrich Küppersbusch nahm ihn in die Pilotsendung für sein „Privatfernsehen“ - und schwenkte grinsend ein Feuerzeug, als Beyer seine Version von „Yesterday“ sang. Beyer lernte Theaterregisseur Christoph Schlingensief kennen, der ihn seitdem immer wieder als Darsteller für Filme und Aktionen engagiert, gerade war Beyer mit ihm in Namibia. Aber die Öffentlichkeit, die Trends und Moden, der technische Fortschritt - an Klaus Beyer und seiner Arbeitsweise änderten sie nichts. Heute wie vor 30 Jahren filmt er auf Super 8 und schneidet seine Beatles-Playbacks auf Tonbändern zusammen.
Was wünscht er sich noch vom Leben? Beyer überlegt lange. „Tja, eigentlich war es ein Traum von mir nach Afrika zu gehen, aber da war ich gerade. Also ist der Traum ja jetzt auch schon weg.“ Sonst fällt ihm kein Wunsch ein, klar, das nächste Konzert, dieses Jahr das einzige, soll gut werden. „Dafür muss ich noch die Kassette zusammenstellen und die Texte auswendig lernen.“
Zum 25. Todestag von John Lennon wird Klaus Beyer dann auf die Bühne gehen, er wird das kurze Stück „My mummy's dead“ spielen, das John Lennon zum Tod seiner Mutter geschrieben hat. Es ist das einzige Lied, bei dem Klaus Beyer's Text wesentlich von dem des Originals abweicht. Bei ihm heißt es: „John Lennon ist tot, ich kann es nicht glauben, aber John Lennon ist tot.“

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