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und jetzt heb' Dein T-Shirt«
Frankfurter
Rundschau MAGAZIN 19.03.05
Anne,
Liz und Pauline sind jung, gut ausgebildet und träumen
von einem Leben im Westen. Jeden Tag klicken sich die Frauen
in Nairobi durch das Internet - auf der Suche nach einem weißen
Mann.
Mit
den meisten Männern redet Anne Githaiga nur kurz, so wie mit
Billy_1978. "Hi" sagt sie. "Hi - hast Du einen schönen
Arsch?", sagt er. Dann sagt Anne nichts mehr. Wieder einer, der
nur Sex will, aber Anne sucht Liebe und ein besseres Leben. Sie sitzt
in einem Internetcafe in Nairobi, ihr Gesprächspartner irgendwo
in den USA. Sie treffen sich in einem Chatroom, einem virtuellen Ort
im Internet.
Anne Githaiga, 26 Jahre alt, aufgewachsen mit sieben Geschwistern in der Kleinstadt
Ruthagati im Hochland von Kenia, arbeitet seit drei Jahren im "Cyber".
Acht Computer stehen dort, voneinander getrennt durch blaue Spanplatten, in
der Ecke blüht ein Rosenstock aus Plastik, durchs Fenster dringen Lärm
und Abgase.
Das "Cyber" ist nur eines von zehn Internetcafes auf diesem, 150 Meter
langen Abschnitt der Kimathi-Street. Längst ist das Internet in Afrika
zu einem wichtigen Kommunikationsmittel geworden, zum wichtigsten, wenn es darum
geht, Kontakt nach Amerika und Europa aufzunehmen, zu fliehen in eine bessere
Welt - die meistens virtuell bleibt, aber manchmal auch real wird.
Es ist Nachmittag, vier Frauen und zwei Männer sitzen vor den Computern. "Kannst
du das als E-Mail für mich verschicken?" Ein Mann Mitte 20 spricht
Anne leise an, sie erhebt sich von ihrem Stuhl, ohne eine Miene zu verziehen.
Auf seinem Bildschirm ist ein Foto abgebildet. Anne beugt sich über ihn,
nimmt die Maus in die Hand, klickt sich schnell, schneller als er folgen kann,
durch die Verästelungen von Microsoft Windows. Fertig, Anne wendet sich
ab, ohne etwas zu sagen, der junge Mann murmelt: "Danke".
Anne Githaiga ist zierlich, sieht jünger aus als 26. Sie hat vor acht Jahren
den Highschool-Abschluss gemacht und danach eine Ausbildung zur Sekretärin,
gehört damit zu den gut gebildeten Kenianern. Trotzdem hat sie ein Jahr
suchen müssen bis sie den Job im Internetcafe bekam. Dort arbeitet sie
60 Stunden die Woche für einen Monatslohn von 8000 kenianischen Shilling,
das sind umgerechnet 80 Euro - und das bei Lebenshaltungskosten, die unwesentlich
unter denen einer europäischen Großstadt liegen. In keiner anderen
Metropole der Welt müssen die Menschen im Durchschnitt so lange arbeiten
wie in Nairobi, um sich bei McDonalds einen Hamburger leisten zu können: Über
drei Stunden - in Frankfurt sind es 15 Minuten. Kenia hat eine Arbeitslosigkeit
von 40 Prozent, die Weltmarktpreise für die Exportgüter sind niedrig,
der Tourismus erholt sich nach den Al-Qaeda-Anschlägen auf die US-Botschaft
1998 nur langsam.
Anne sagt, sie mag ihren Job, obwohl er wenig Geld bringt. Während der
Arbeit spricht sie oft Stunden lang nicht, sie unterhält sich vor allem
im Internet. Lächeln sieht man sie dann, wenn sie vor dem Bildschirm sitzt,
zum Beispiel jetzt, wo Klamp sich endlich gemeldet hat. "Er ist ein guter
Freund von mir", sagt Anne. Das Bild von Klamp, kahler Schädel, Schnauzbart,
breites Grinsen, erscheint rechts unten auf dem Bildschirm, live eingespielt
per Webcam aus den USA. "Musst Du nicht arbeiten?", fragt Anne. "Nein,
ich habe meine Mutter zum Arzt gebracht." Klamp ist 40, Immobilienmakler,
nicht verheiratet und kümmert sich um seine Eltern. "Die meisten Männer,
die man im Internet kennen lernt, interessieren sich nicht wirklich für
einen, sie wollen bloß Cybersex", sagt Anne. "Klamp ist anders.
Er ist so lustig, mit ihm kann ich über alles reden. Er hat gesagt, er
kommt mich besuchen."
Am Computer gegenüber sitzt Liz Okany, 23 Jahre alt, Außenhandelskauffrau,
ihre Rastazöpfe hat sie kunstvoll zu einem Dutt getürmt. Sie hat sich
bei "americansingles.com" eingeloggt, ihre Kusine Pauline Antango,
22, Krankenschwester, schiebt die Webcam, die über ihr auf einem Holzbrett
steht, ein paar Zentimeter nach rechts. Auf dem Bildschirm zuckelt eine unscharfe
Aufnahme ihres Dekolletees. Die Kamera ist auf den Ausschnitt ihres hautengen
Tops gerichtet. "Eeh", schreibt FabXL zurück. "Und jetzt
heb' dein T-Shirt!!" Pauline schaut abwesend auf den Schirm. "Das
ist genug jetzt", schreibt sie.
Derweil hat sich Klamp drüben in den Staaten ein Bier aufgemacht und sein
Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft. Anne schickt ihm das Symbol "Kussmund" zu. "Muah!" schreibt
Klamp. "Mein Schwanz wird hart. Schließ' die Webcam an - ich will
dich sehen!" Er hat Anne das Geld geschickt, damit sie die Kamera für
das "Cyber" kaufen konnte.
Anne ist Single seit einem Jahr. Ihr Ex-Freund war autoritär, sagt sie,
er verlor seinen Job, sie unterstütze ihn finanziell. "Dann fing er
an, mit älteren Frauen, auszugehen - ich habe sofort Schluss gemacht, als
ich das mitgekriegt habe." Sie schüttelt den Kopf. "Schwarze
Männer lügen, alle."
Liz und Pauline erzählen ähnliche Geschichten. "Die kenianischen
Männer wollen alle nur Sex. Sie sagen dir nach einem Tag, sie lieben dich,
sie können nicht ohne dich leben", sagt Pauline. Liz erzählt: "Ich
hatte einen Freund, ich habe für ihn gewaschen und geputzt. Aber er war
kein bisschen dankbar, er hat sich nur beschwert und mich betrogen. Für
kenianische Männer ist es die Pflicht der Freundin, einfach zu gehorchen.
Es ist unsere härteste Aufgabe in Afrika, die Männer zu verändern.
Aber wir können nicht warten, bis wir alt und hässlich sind!"
Anne hat noch mal versucht, sich mit kenianischen Männern einzulassen.
Als sie anfing im "Cyber" zu arbeiten, besuchte sie lokale Chatrooms
und Internetseiten für Singles. Sie traf einige der Männer. "Aber
die waren langweilig", sagt sie. Da entschied sie sich für den Flirt
mit der weiten Welt, für den großen Traum statt der grauen Wirklichkeit.
Wie Liz und Pauline hat sie einen Steckbrief auf der Webseite "afrointroduction.com" hinterlegt,
einer Webseite, über die alle drei Frauen schon Internetbekanntschaften
gemacht haben. Dort werden afrikanische Frauen gepriesen als familienorientiert,
devot und traditionellen Werten verhaftet.
Anne, Liz und Pauline sind auf der Suche nach einem Mann, einem weißen
Mann. Pauline sagt: "Ich habe eine Leidenschaft für weiße Männer." Liz
sagt: "Weiße respektieren Frauen, ganz anders als kenianische Männer." Anne
sagt: "Ich mag ihren Lebensstil." Alle drei sagen: "Wir suchen
Liebe, nicht Geld." Dafür würden sie ihre Heimat hinter sich
lassen und ihre Familie, sie würden ins kalte Europa oder nach Nordamerika
gehen, ohne lange zu überlegen. Das ist ihr Ernst.
Anne, Liz und Pauline kennen von Angesicht zu Angesicht jeweils: einen weißen
Mann. Der, von dem Anne erzählt, ist ein Schwede, der immer freundlich
grüßt und ihr ab und zu eine E-Mail schreibt. Aber besser kennt sie
die Charaktere von "Reich und Schön", einer US-Soap-Opera, ihrer
Lieblingsfernsehserie.
Es ist Samstagnachmittag, das Ende von Anne Githaigas Arbeitswoche. Sie streckt
die Hand aus, hält einen Kleinbus, an, der sie und 20 andere Männer
und Frauen nach Hause bringt. Der Verkehr ist dicht, Huporgien in der Innenstadt,
dann nach einer halben Stunde Fahrt, sind weniger Autos und mehr Menschen auf
den Straßen. Viele sitzen unter Planen am Wegesrand, bieten schmutzige
Früchte neben Batterien und Altmetall zum Kauf. Pro Quadratmeter fliegen
mindestens fünf Fetzen Plastikfolie über die Erde. Anne wohnt in Jericho,
einem der schäbigsten Viertel von Nairobi.
In ihrem Zimmer im Erdgeschoss eines zweistöckigen Flachdachbaus riecht
es modrig und ein bisschen nach Gas. Die Toilette, die sie sich mit dem Nachbarn
teilt, ist ein Loch im Betonboden, die Dusche ein vergammeltes Rohr, das aus
der Decke ragt, Wasser gibt es nur von 20 bis 7 Uhr. Mehr als ein Viertel ihres
Lohns bezahlt Anne für ihre Wohnung, für den Transport in die Stadt
noch einmal genauso viel, außerdem unterstützt sie ihre kleine Schwester,
die noch zur Schule geht. Es muss Anne große Mühe kosten, in der
Stadt mitzuhalten mit denen, die gut bezahlte Jobs haben.
17 Uhr, es ist Zeit für "Reich und Schön", inmitten der
kargen Einrichtung steht ein glänzendes Raumschiff , ein silberner Sony-Fernseher,
bezahlt von Ersparnissen und vor allem von Geld, das Klamp aus den USA geschickt
hat. Anne schaut gebannt auf den Bildschirm. "Diese Frau ist wirklich böse",
sagt sie über eine Schauspielerin. "So etwas kann man nicht spielen."
Nach der Fernsehserie flimmern Musikvideos über den Bildschirm. Anne macht
den Gaskocher an, schüttet Wasser, das sie am Morgen abgezapft hat, aus
einem Bottich in einen Topf. "Ich will ein besseres Leben. Ich will weg
aus Afrika, egal wohin", sagt sie. Viele aus den Chatrooms haben schon
gesagt, dass sie Anne besuchen, dass sie sie mitnehmen wollen nach Europa oder
in die USA. Gekommen ist noch keiner. |