Reinszenierung Prostituierte - Foto: stephanfloss.com
Das Verhängnis

Die Zeit 02.08.12
Klaus Schulz ist ein einfacher Mann, bei den Frauen hat er kein Glück. Als er auf die blonde Sandra trifft, tut er alles, um sie für sich zu gewinnen. Die Geschichte eines Verbrechens aus Liebe

Teil 1 Teil 2 Teil 3

Das Unglück des Klaus Schulz* beginnt an dem Tag, als er sich endlich verliebt. Es ist ein Nachmittag im Juli 2006. Kurz nach 17 Uhr stellt Schulz seinen silbernen Mercedes an einer Tankstelle in Halle an der Saale ab. Es ist heiß und schwül. Feierabendverkehr donnert nebenan auf zwei Spuren stadtauswärts. Während Schulz tankt, sieht er im Schatten des Vordachs eine Frau stehen: schwarze Jeans, schwarzes Top, lange, wasserstoffblonde Haare – er schaut direkt noch mal hin. Wie schön sie ist, sagt er sich und blickt zu Boden. Klaus Schulz, 36, ledig, hat seit elf Jahren keine Freundin. Die Frau kommt auf ihn zu. »Hallo«, sie lächelt ihn an. »Kann ich was für dich tun?«

Fünf Jahre später, als er sich an diese Szene erinnert, ist es wieder Sommer. Plattes Land, Weizenhalme wiegen sich im Wind, dahinter eine Festung aus grauem Beton: die Justizvollzugsanstalt Burg, 120 Kilometer nördlich von Halle. Eine fünf Meter hohe Mauer, nach oben abgeschlossen von dicht gerolltem Stacheldraht, dann ein Graben, eine zweite Mauer. Dahinter, separat eingezäunt, eine betonierte Fläche für den Hofgang der Gefangenen. Sie ist mit Seilen überspannt, um zu verhindern, dass Häftlinge mit einem Hubschrauber befreit werden können. In der Einfahrt gibt es einen Herzschlagdetektor, der Menschen aufspüren kann, die sich in Wäschekörben verstecken. Die JVA Burg gilt als eines der sichersten Gefängnisse Europas.

Klaus Schulz sitzt in einem Besuchsraum, drei stoffbezogene Stühle, weiße Wände, ein Tisch aus Kunststoff, rechts oben in der Ecke hängt eine Überwachungskamera. Er trägt eine weite Jogginghose, die Jeans aus der Kollektion der Anstaltskleidung passen ihm nicht. Klaus Schulz ist 1,96 Meter groß, und alles an ihm ist riesig, sein Kopf, seine Arme, seine Hände, die sich bei der Begrüßung so anfühlen, als könnten sie aus Versehen Finger brechen. Aber Schulz lächelt freundlich, fast schüchtern, er wirkt nicht bedrohlich, eher wie Balu, der gutmütige Bär aus dem Dschungelbuch. »Is alles blöd jelofen«, sagt er. Er spricht diesen sachsen-anhaltinischen Dialekt, der wie eine Mischung aus Berlinerisch und Sächsisch klingt. »Es kann sein, dass ich ein bisschen weine«, sagt er. »Ich habe eben in die Flamme vom Schweißbrenner geguckt.«

Schulz arbeitet in der Gefängniswerkstatt. An seinem linken Daumen klafft eine breite Schnittwunde. »Da habe ich mich mit der Flex geschnitten.« Er lacht. »Ich bin nicht der Typ, der Sicherheitshandschuhe anzieht. Wenn ich blute, sage ich mir immer: Ich habe jetzt keine Zeit zu bluten.« Dann blickt er sich ernst in dem fensterlosen Raum um. »Aber den ganzen Tag hier drinnen im Gefängnis, das ist furchtbar für mich. Ich brauche die Luft an meinen Ohren.« Der Fahrtwind bei offenem Fenster, der hat ihn früher glücklich gemacht.

Die Gerichtsakte von Klaus Schulz erzählt eine traurige Geschichte. Sie handelt von der Suche nach Liebe in jenem Teil der Gesellschaft, von dem viele aus der Mittel- und Oberschicht kaum etwas wissen. Dort, wo Schulabschlüsse, feste Jobs und stabile Beziehungen selten sind, kann eine funktionierende Partnerschaft die Rettung sein. Die Liebe verheißt lebenswichtigen Halt, weil es kaum etwas gibt, worauf die Menschen sich verlassen können. Am Rande der Gesellschaft ist es nicht leicht, das Gefühl zu entwickeln, liebenswert zu sein.

Trotzdem schlägt sich Klaus Schulz gut in dieser Welt, so gut, dass der vom Gericht bestellte Psychiater später sagen wird, seine biografische Entwicklung sei »bewundernswert« gewesen. Ungeachtet einer »leichten Intelligenzminderung«: Schulabschluss, 13 Jahre im selben Beschäftigungsverhältnis, gute Integration. Klaus Schulz hat seinen Vater bis zum Tod gepflegt, er hat Freunde. Alles geht einigermaßen gut – bis zu diesem Julitag.

Als Schulz nicht versteht, wird Sandra deutlicher: »Sex, halbe Stunde, 50 Euro«

Als Schulz sein Auto an der Tankstelle in Halle abstellt, lebt er noch bei seiner Mutter in seinem alten Kinderzimmer, wo seine Matchboxauto-Sammlung steht und eine Miniaturlandschaft für die Modelleisenbahn. Seine Mutter wäscht und kocht für ihn. Seit elf Jahren arbeitet Klaus Schulz bei einer Firma, die Autoteile verkauft. Die fährt er mit Lastwagen zu Werkstätten und Händlern. Wenn es zusätzliche Touren gibt, fragt sein Chef meistens ihn, weil Schulz als zuverlässig gilt und nicht Nein sagen kann. Auch an diesem Tag, als er die Tankstelle betritt, macht er später Feierabend als seine Kollegen. Als die 25-jährige Sandra Reiter ihn anspricht, versteht er zunächst gar nicht, was sie will. Sie wird deutlicher: »Sex, halbe Stunde, 50 Euro.« Er antwortet: »Ich möchte nur mit jemandem wie dir reden.« – »Kannst du mir ein bisschen Geld geben für Essen?«, fragt sie. Er sagt: »Komm, ich lade dich ein.« Sie steigt zu ihm in den Mercedes. Sie fahren in die Innenstadt. Schulz genießt es, dass sie neben ihm im Auto sitzt. Er schaut sie verstohlen an, ihre glänzenden langen Haare, ihre schlanke Taille, ihr fein geschnittenes Gesicht, grünblaue Augen. Er hört zu, wie sie spricht, so viel redegewandter als er selbst.

Er lädt sie zum Essen ein, gutbürgerlich. Sie schüttet ihm ihr Herz aus, erzählt von den Eltern, die sie verstoßen hätten, dem Heroin, von dem sie abhängig sei. Sie gesteht auch, dass sie auf den Strich geht, um die Drogen zu finanzieren. Er fährt sie nach Hause. Zum Abschied verlangt Sandra 30 Euro. Schulz gibt sie ihr. Sie tauschen Telefonnummern aus. Er sagt es ihr nicht, aber er hat sich verliebt.

Klaus Schulz legt ein Foto auf den Kunststofftisch, kaum größer als sein Daumennagel, ausgeschnitten aus einem größeren Bild. »Da war ich mit drauf«, sagt er, »aber ich wollte ein kleines Bild, nur von ihr, für den Geldbeutel.« Das Foto zeigt eine junge Frau: blonde glatte Haare, streng nach hinten gelegt, hohe Wangenknochen, aufgemalte Augenbrauen, ernster Gesichtsausdruck. »Sie hat mir direkt eine Liebesstunde angeboten, aber das wollte ich nicht«, sagt Klaus Schulz. »Ich bin nicht so ein Typ, der gleich mit einer Frau in die Kiste geht. Ich wollte eben langsam eine Beziehung aufbauen.«

Sie treffen sich alle zwei Tage, so rekonstruiert es das Gericht, so berichtet es auch Sandra der ZEIT. Klaus Schulz bringt ihr immer ein kleines Geschenk mit, mal eine Kette für fünf, mal eine Uhr für zehn Euro. Sie steigt in seinen Mercedes, sie fahren umher. Zum Zoo, an einen See, nach Leipzig, den größten Kopfbahnhof Europas anschauen. Bald will Sandra selber fahren. Klaus Schulz zögert. Dann hält er auf einem Feldweg, erklärt ihr die Automatikschaltung. Zum ersten Mal schaut jemand zu ihm auf, eine Frau an seiner Seite. Er habe sich großartig gefühlt, wird er später sagen, eine ungekannte Hochstimmung durchströmte den Lkw-Fahrer.

Die beiden gehen bummeln. Bei C&A bleibt Sandra vor dem Schaufenster stehen. »Gefällt dir was?«, fragt er, »Ich kauf es dir!« Sie gehen durch den Laden. Sie nimmt eine Hose, er sagt, sie könne sich ruhig mehr aussuchen. Am Ende bezahlt er auch Unterwäsche, eine Jacke, Strümpfe, T-Shirts und Schuhe. Zum Abschied verlangt sie wieder 30 Euro für die Zeit, die sie mit ihm verbracht hat. Klaus Schulz zahlt.

Die Konsequenzen des eigenen Handelns abzusehen, unheilvolle Konstellationen zu erkennen, sein Verhalten zu ändern – vielen Menschen fällt das schwer, und Klaus Schulz vielleicht noch ein bisschen schwerer als anderen. Er wächst in der DDR auf, verlässt die Polytechnische Oberschule nach der achten Klasse und macht danach eine Ausbildung als Lagerist. Mit 18 Jahren arbeitet er in einem Betrieb, der Säuglingsnahrung herstellt. Er lernt ein Mädchen kennen. Sie ist Schneiderin. Seine Eltern sind aber der Meinung, sie seien beide noch zu jung für eine feste Bindung, außerdem trinke die Mutter der Freundin zu viel Alkohol. Klaus Schulz beendet die Beziehung nach einigen Monaten.

Zwei Jahre später trifft er bei der Arbeit auf Angela. Sie werden ein Paar. Dann kommt die Wende, ein westdeutsches Unternehmen übernimmt die Firma. Klaus Schulz hat die Wahl, zu einer Betriebsfiliale im Allgäu zu wechseln oder seine Stelle zu verlieren. Schulz geht in den Westen, seine Freundin bleibt im Osten. Allerdings besteht sie darauf, dass er wieder zurückkommt. Er tut ihr den Gefallen und zieht heim nach Halle. Dadurch verliert er seinen Job. Seine Eltern finden jetzt, diese Freundin nutze ihn aus. Immerhin fährt Schulz die junge Frau und ihre Mutter dauernd herum, und die beiden zahlen kein Spritgeld. Unter der Dauerkritik der Eltern zerbricht auch die zweite Beziehung von Klaus Schulz.

Das Arbeitsamt bezahlt ihm als Umschulungsmaßnahme den Lkw-Führerschein. Schulz bekommt einen Job als Lastwagenfahrer. Nach kurzer Zeit will sein Unternehmen ihn nach Hannover versetzen. Schulz kämpft darum, bei seiner Mutter und in seiner gewohnten Umgebung bleiben zu können. Er nimmt dafür sogar eine Lohnkürzung hin. Fortan fährt er Kleinlastwagen. Seine Kollegen sind ausschließlich Männer.

Noch als Schulz volljährig ist, lebt er zu Hause, kauft seine Mutter für ihn ein

Zweimal versucht er, über eine Kontaktanzeige eine Partnerin zu finden. Das erste Mal gibt sein bester Freund sie für ihn auf. Es meldet sich eine Frau aus Merseburg. Zum vereinbarten Treffen kommt sie nicht. Beim zweiten Mal schreibt eine Frau aus Bayern. Er ruft sie an. Schulz fragt, ob sie sich treffen wollten. Sie verabreden sich zum Kaffee im Real-Supermarkt in Peißen, zehn Kilometer östlich von Halle. Die Frau hat schmutzige Fingernägel, sie sagt, wenn es mit ihnen was werden solle, dann müsse er zu ihr nach Landsberg ziehen. Sie habe einen großen Garten, für den sie Hilfe brauche. Es bleibt bei diesem einen Treffen, Liebe hat sich Klaus Schulz anders vorgestellt.

Er will eine Beziehung, so wie er sie bei seinen Eltern gesehen hat. »Die waren treu und ehrlich miteinander«, sagt er. »Sie sind zusammen durch dick und dünn gegangen.« Es war die zweite Ehe seines Vaters, aus der ersten hat Schulz zwei Halbbrüder. Er wächst als Einzelkind auf.

Doch Schulz will selbst eine Familie. »Ich wollte nicht alleine sein, ich will ja irgendwann Kinder haben«, sagt er. Neonlicht scheint auf die blanke Kopfhaut inmitten eines kurz geschorenen Haarkranzes. Er zieht die buschigen Augenbrauen zusammen. »Die Sehnsucht war groß.« Er schweigt einen Moment. »Es ist so schwer, die richtige Frau zu finden.«

Zwei Monate nachdem er Sandra kennengelernt hat, findet die Eisleber Wiese statt, ein großes Volksfest, viele Fahrgeschäfte. Sandra überredet ihn, mit ihr in einen Twister zu steigen, kleine Flugzeug-Attrappen drehen sich im Kreis, schleudern die Insassen gen Himmel, lassen sie wieder in Richtung Erde stürzen. Sandra jauchzt, Klaus Schulz krümmt sich. Nach der Fahrt muss er sich fast übergeben. Als er sich erholt hat, sagt er, Sandra solle sich an einem Stand einen Ring aussuchen. Sie sucht Ringe für sie beide aus, Blech, zehn Euro das Stück, Schulz bezahlt. Sie fragt: Wenn ich ein Kind bekäme, würdest du einen Vaterschaftstest machen?

Zu dieser Zeit schlafen sie das erste Mal miteinander, Klaus Schulz bezahlt dafür 50 Euro, den Standardsatz für eine halbe Stunde. »Es war schön«, erinnert er sich. »Sie hat mich verführt – mein lieber Mann, da möchte ich nicht näher drauf eingehen...« Er lacht, es schallt im Besuchsraum des Gefängnisses. Er denkt heute gerne an diese Zeit. »Es hat geprickelt im Magen, mein Herz hat anders geschlagen«, sagt er. »Ich war so verliebt.«

An einem Abend sitzt Sandra bei Klaus Schulz im Auto und weint. Sie erzählt, wie ein Freier sie gewürgt habe, sie habe Angst gehabt, dass er sie umbringe. Ein anderer Freier sei mit ihr zu einem Badeteich gefahren und habe sie nackt dort ausgesetzt. »Ich habe sonst niemanden, du bist der Einzige, dem ich das anvertraue«, habe sie gesagt. »Ich will das nicht mehr, bitte hilf mir.« Klaus Schulz sagt: »Sandra, ich helfe dir, aber du musst aufhören mit den Scheißdrogen und dem Anschaffen.« Sie sagt: »Wenn du mir hilfst, schaffe ich das.«

Sandra wohnt damals zur Untermiete, bei einem Mann, der sie schlecht behandelte, wie sie sagt. Klaus Schulz sucht eine Wohnung für sie. Er findet auch eine. Ein Zimmer, Küche, Bad, im Zentrum von Halle, er unterschreibt den Mietvertrag und bezahlt fortan die Miete, 240 Euro im Monat, plus Nebenkosten. Er hat keinen Schlüssel. Er besucht sie, aber sie lässt ihn nicht in der Wohnung übernachten. »Sie ist zu klein dafür«, sagt sie. Sie schlafen nicht miteinander. Sandra sagt, nach all den Erfahrungen auf dem Strich ekele sie sich vor Sex.

Klaus Schulz blickt im Besuchsraum vor sich hin ins Leere. »Ich habe sie als Frau respektiert, nicht so wie die Freier«, sagt er. »Ich habe sie nie zu etwas gedrängt.« Meistens bleiben sie kurz zusammen in der Wohnung und machen dann gemeinsam Ausflüge. Sie gehen Hand in Hand durch die Stadt, manchmal gibt Sandra ihm einen Kuss auf die Wange. Sie sagt: Ich hab dich lieb, und Schulz sagt: Ich mag dich. Er versorgt Sandra jetzt komplett, bezahlt Drogen und Lebensmittel, sodass sie nicht mehr anschaffen gehen muss.

»Das habe ich gerne gemacht, ich habe ihr die Liebe und Geborgenheit gegeben, die sie von ihren Eltern nicht bekommen hat«, sagt er. Er malt sich ein gemeinsames Leben mit Sandra aus, stellt sich vor, mit ihr eine Familie zu gründen. »Wenn wir ein Kind gehabt hätten, wären wir dorthin gefahren, wo ich mit meinen Eltern immer war: an die Ostsee, nach Ungarn runter, in die Tschechei.« Es sind die Urlaubsziele der DDR, nicht diejenigen einer Frau, die nach der Wende groß geworden ist. »Ich wäre gerne mal mit ihr aufgewacht und hätte uns Frühstück gezaubert«, sagt er heute. »Aber ich durfte ja nie.«

Als Sandy, der Schäferhund, erbärmlich röchelt, liegt Schulz mit seiner Mutter auf der Ausziehcouch in ihrer Datsche. Die beiden wachen auf, es ist drei Uhr morgens. Schulz nimmt den krebskranken Schäferhund in den Arm. Dort stirbt das Tier. Sie wickeln ihn in eine Decke und begraben ihn im Garten. 15 Jahre ist er ihr Hund gewesen. In jeden Urlaub haben sie ihn mitgenommen, er hat die beiden Katzen beschützt. Sie weinen an seinem Grab. »Er war ein treues Tier, auf ihn konnte man sich verlassen«, sagt Schulz.

Er hatte Geld gespart, 50000 Euro, 1100 Euro netto verdient er im Monat. Die Ersparnisse sind bald weg, das Einkommen reicht nicht mehr, aber Klaus Schulz ist zu stolz, um das vor Sandra zuzugeben. Er nimmt am 27. März 2008 einen Kredit über 5000 Euro auf. Als das Geld verbraucht ist, beginnt er in seiner Firma zu stehlen. Er will Sandra weiter bezahlen und beschenken. Altbatterien, die er von Kunden holt, bringt er nicht in den Betrieb, sondern verscherbelt sie beim Schrotthändler, 42 Cent pro Kilogramm Blei.

Seine Mutter findet heraus, wo Sandra wohnt, und beschimpft sie als Schlampe

Sein Schulfreund Thomas Günther ist einer der wenigen, denen er von Sandra erzählt. Der Taxifahrer kennt sie vom Straßenstrich. »Lass die Finger von der Frau«, mahnt er immer wieder, »das bringt doch nichts.« Seiner Mutter verheimlicht Klaus Schulz die Beziehung zu Sandra. Erst Monate später erfährt sie von einem Freund der Familie, dass ihr Sohn mit einer Drogenabhängigen gesehen wird. Als Schulz von einem Ausflug mit Sandra nach Hause kommt, weint die Mutter und schluchzt laut: »Junge, was machst du?« Schulz versucht, sie zu beruhigen, sagt, Sandra sei ein gutes Mädchen. Seine Mutter glaubt ihm kein Wort: Sie kriegt heraus, wo Sandra wohnt, klingelt bei ihr, beschimpft sie als Schlampe und versucht, ihr den Wohnungsschlüssel zu entreißen. Erfolglos.

Klaus Schulz arrangiert ein Treffen zu dritt, damit man sich aussprechen könne. Sandra sagt, sie wolle von den Drogen loskommen. Die Mutter gibt sich diesmal versöhnlich, sagt: »Na gut, wenn das so ist, dann versucht es eben zusammen.« Kurze Zeit später wartet sie aber schon wieder vor dem Haus, in dem Sandra wohnt, beschimpft sie als Nutte, die Männer ausnimmt. Zu ihrem Sohn sagt sie: »Junge, du warst immer so ein Pfennigfuchser – was hast du bloß mit all deinem Geld gemacht?«

Seine Mutter enttäuscht zu haben ist für Klaus Schulz heute vielleicht noch schlimmer als das Gefängnis. »Ich bin sehr stolz drauf, dass ich so eine gute Mutter habe«, sagt er, seine Stimme bricht. »Sie wartet auf mich.« Er wischt mit dem Ärmel ein paar Tränen von der Tischplatte. Sie habe noch nicht verkraftet, dass er im Gefängnis sitzt. »Ich will doch auch heim zu ihr.«

Der Dealer bringt Sandra am helllichten Tag das Heroin in die Wohnung. Klaus Schulz versteht nicht, dass sie mit den Drogen nicht aufhören kann. Darüber geraten sie in Streit. Schulz stellt sein Handy so um, dass seine Nummer beim Angerufenen nicht erscheint, und erstattet bei der Polizei anonym Anzeige: In einem bestimmten Haus – er nennt Sandras Adresse – würden Drogen gehandelt. Nachdem er aufgelegt hat, ermittelt die Polizei trotzdem seine Nummer, ruft ihn zurück und bestellt ihn ins Präsidium. In Sandras Haus finden sie nichts. Klaus Schulz bekommt eine Anzeige wegen Missbrauchs eines Notrufs. Sandra erfährt davon nichts.

Eines Tages fährt Klaus Schulz eine Autowerkstatt an, die sonst auf der Tour eines Kollegen liegt. Als er die bestellten Autoteile abgeliefert hat, fragt er beiläufig, ob der Händler nicht noch ein paar alte Batterien loswerden wolle. Der gibt ihm 15 mit. Klaus Schulz verkauft sie für 80 Euro bei einem Schrotthändler. Als er den Transporter vor seiner Firma abstellt, hat der Händler dort schon angerufen und gefragt, ob seine Batterien angekommen sind. Der Diebstahl fliegt sofort auf, zwei Tage später wird Schulz entlassen. Jetzt ist er arbeitslos. Sandra übernimmt die Wohnung, die Arbeitsagentur bezahlt.

Als Sandra weiter anschaffen geht, observiert Schulz fortan ihre Wohnung

Klaus Schulz informiert sich bei einer Beratungsstelle über einen Drogenentzug. Sandra will clean werden, schließlich bekommt sie einen Platz in einer Klinik in Halle. Schulz fährt sie hin. Inzwischen hat er wieder einen Job gefunden, bei einer Zeitarbeitsfirma, schlechter bezahlt als die vorherige Stelle. Sandra bleibt acht Wochen auf Entzug und bekommt im Anschluss einen Platz für eine Langzeittherapie in Kelbra, 80 Kilometer entfernt. Es gehört dort zum Konzept, Drogenabhängige von ihrem Umfeld zu trennen. Deshalb herrscht Besuchsverbot für Freunde und Bekannte. Aber Schulz hält es nicht aus, bringt Sandra heimlich Zigaretten und Süßigkeiten. Sandra wird deshalb der Rauswurf aus der Klinik angedroht. In der Anstalt hat sie Steven Boll kennengelernt, ebenfalls drogenabhängig und auf Entzug. Gemeinsam werden sie nach fünf Wochen rückfällig, weshalb beide die Therapie abbrechen und die Klinik verlassen müssen. Sandra ruft Klaus Schulz an, ob er sie abholen könne. Als der mit dem Mercedes vor der Klinik vorfährt, fragt sie ihn: »Können wir noch jemanden nach Halle mitnehmen?« Steven nimmt auf dem Rücksitz Platz. In Halle angekommen, sagt Sandra, dass Steven bei ihr einziehe, natürlich nur bis er was Eigenes habe. Er wisse gerade nicht, wohin.

Klaus Schulz ist wütend: »Mich schmeißt du jeden Abend raus, und der darf bei dir wohnen?« Sandra tätschelt seinen Arm. »Es ist nicht so, wie du denkst«, sagt sie. »Ich will mit dir zusammenbleiben, es ist ja nur für ein paar Tage.«

»Nachdem dieser Typ auftauchte, war eigentlich nichts mehr wie vorher.« Klaus Schulz schüttelt den Kopf. Die Arme fest verschränkt, wippt er mit dem Oberkörper hin und her, wie eine Buddha-Statue, die gleich von ihrem Sockel kippen wird. »Und ich habe ihn noch selber mitgebracht.«

Als Klaus Schulz kurze Zeit später Sandra abholt, um mit ihr einen Ausflug zu machen, sagt sie bloß: Steven kommt mit. Der sitzt schon auf dem Rücksitz, Klaus Schulz ignoriert ihn, redet nur mit Sandra. Sie aber unterhält sich vor allem mit Steven. Manchmal versteht Schulz die beiden nicht, weil sie so leise sprechen, weil sie Wörter verwenden, die er nicht kennt. Er wirft ihnen vor, dass sie eine Geheimsprache benutzen, um ihn auszuschließen. Die beiden lachen.

Klaus Schulz überlegt sich, Sandra etwas zu bieten, was ihr, der mehr als zehn Jahre Jüngeren, gefällt. Er kauft Gutscheine fürs Sonnenstudio, fragt sie, ob sie mit ihm in die Disco wolle. Sie sagt, sie habe keine Zeit. Ein paar Tage nachdem Sandra aus der Therapie entlassen wurde, spritzt sie sich wieder Heroin.

Dacia 1300, Nissan Bluebird, Golf II, das sind die Autos, die Klaus Schulz aus Wracks restauriert hat. Er hat im Rückblick schneller parat, wann er welches Auto hatte, als zu welcher Zeit welche Freundin. Sein Vater, gelernter Kfz-Meister, später Lastwagenfahrer, bringt ihm früh bei, wie man Autos repariert. Andere warten in der DDR jahrelang auf einen Wagen, Schulz hat, noch keine zwanzig, einen Dacia aus Schrott zusammengebaut. Als es seinem Vater Ende der Neunziger immer schlechter geht, kauft Schulz gemeinsam mit seinem Halbbruder in Holland einen Sachsenring-Horch, ein seltenes DDR-Sportcabrio. Sie restaurieren das Fahrzeug, damit der Vater das geliebte Auto noch einmal fahren kann, bevor er stirbt.

Als Klaus Schulz im Besuchsraum davon erzählt, ist er wieder den Tränen nahe. »Wir haben...« Er stockt, betont dann jedes Wort. »Wir – haben – es – einfach – nicht – mehr – geschafft.« Als der Vater starb im Jahr 2000, fehlte nur noch das Cabrioverdeck. »Von ihm habe ich alles gelernt«, sagt Schulz. Wenn eine Werkstatt gesagt habe, ein Auto sei nicht mehr zu reparieren, habe sein Vater noch lange nicht aufgegeben. Er senkt die Stimme, haucht: »Sein Motto war immer: Sag nie, du schaffst es nicht – du kannst es immer schaffen.«

Bloß bei Sandra ist es anders. Sie braucht jetzt wieder Geld für Drogen. Sie fragt Klaus Schulz. Sie sagt: »Wenn du mir keins gibst, muss ich eben wieder anschaffen.« Also gibt Schulz ihr Geld, obwohl er selber kaum welches hat, er verdient nicht mehr viel, muss den Kredit zurückzahlen. Sein Mercedes, auf dessen Nummernschild die Initialen seines Namens und das Geburtsdatum stehen, gekauft als Vorführwagen für 30000 Euro, hat einen Getriebeschaden. Klaus Schulz kann die Reparatur nicht bezahlen und muss ihn verkaufen, für 4500 Euro. Zum ersten Mal seit fast 20 Jahren ist er ohne Auto.

Steven nimmt auch wieder Drogen. Eines Tages ruft Thomas an, Klaus Schulz‚ Taxifahrer-Freund. »Sie steht wieder hier oben und schafft an«, sagt er. Schulz ist wütend, von einem Kumpel leiht er sich ein Auto und fährt in die Straße, wo ihre Geschichte begann – an jenem heißen Julitag 2006. Er findet seine große Liebe nicht an der Tankstelle, sondern gegenüber auf dem Parkplatz des Netto-Supermarkts. Sie trägt Jeans, Trägertop, Lederjacke, Stiefel, die bis über die Knie reichen, alles Sachen, die Schulz ihr gekauft hat. Sie spricht Männer an, die zu ihren Autos gehen. Er fährt direkt auf sie zu, kurbelt die Scheibe runter, ruft: »Sandra, verdammt, was machst du hier?«

»Hau ab, du machst mir das Geschäft kaputt!«

»Komm, steig ein, so viel Geld, wie du hier machst, habe ich noch.« Sie wirft sich widerwillig zu ihm ins Auto, er gibt ihr 50 Euro und fährt sie nach Hause.

Ein paar Tage später wird Sandra wieder am Parkplatz gesehen, diesmal steht Steven ein paar Meter weiter. Sie geht jetzt anschaffen, um für beide die Drogen zu bezahlen. Klaus Schulz bebt vor Eifersucht, auf Steven und auf die Freier. Er selbst hat mit ihr nur noch Streit. Sie schreit ihn auf der Straße an, er solle sie in Ruhe lassen. Er beginnt, das Haus, in dem Sandra wohnt, zu observieren. Er wandert die Straße auf und ab, lauert am Kiosk oder im Waschsalon gegenüber, sitzt auf der Treppe beim Taxistand, wo sein Schulfreund Thomas seinen Stammplatz hat. Bei der Zeitarbeitsfirma wurde sein Vertrag nicht verlängert, Schulz ist jetzt nicht mehr rasiert und sieht ungepflegt aus. Es ist die Zeit, in der er die Kontrolle über sich verliert.

Am 12. September 2008, kurz vor 20 Uhr, trinkt Schulz einen Kaffee am Kiosk, als gegenüber ein Toyota hält, Wittenberger Kennzeichen. Auf der Fahrerseite steigt ein Mann mit Halbglatze aus, vom Beifahrersitz erhebt sich – Sandra. Die Haustür fällt hinter den beiden ins Schloss. Klaus Schulz glüht vor Wut. Er ist sich sicher, ein Freier ist in der Wohnung, die er selber einst für Sandra suchte, damit sie den Drogen und dem Straßenstrich entkommen konnte. Er denkt darüber nach, den Auspuff des Toyotas mit Bauschaum zu verstopfen. Aber der Baumarkt schließt gerade. Also geht Schulz zu seinem Auto, das er von einem Freund geliehen hat und das in der Nähe steht. Dort hat er ein Jagdmesser liegen. Dann läuft er zu dem Wagen mit Wittenberger Kennzeichen zurück, sticht in einen Reifen, dann in den zweiten, dritten, vierten. In seiner Wut jagt er das Messer auch noch zweimal durch die Motorhaube. Danach geht er in seine Stammkneipe, Bier trinken.

Eifersuchtsdramen vor dem Haus, Versöhnung, Ausflüge zu dritt, die Szenen ähneln sich, manchmal gibt Klaus Schulz Sandra noch Geld. Aber meistens ist er jetzt pleite. Am 28. November 2008 bekommt er eine Kurznachricht von ihr. »Kannst Du mal 20 Euro klarmachen? Habe eine Überraschung für Dich.« Schulz fährt hin. »Ich brauche was zu essen und Zigaretten«, sagt sie. Er gibt ihr seine letzten fünf Euro, und sie schläft mit ihm, ein letztes Mal. Schulz weiß, dass Steven so lange im Keller wartet – wie sonst auch, wenn Kundschaft in der Wohnung ist.

Am 12. Februar 2009 gegen 22 Uhr sitzt der 21-jährige Medizinstudent Marcel Müller vor seinem Computer. Er wohnt im selben Haus wie Sandra, ein Stockwerk tiefer. Unter seiner Tür kriecht stinkender Qualm in die Wohnung. Seiner Freundin, mit der er gerade chattet, schreibt er: »Hier brennt es, ich muss schnell raus!« Er hastet zur Tür, nimmt sich ein Handtuch, wickelt es sich um den Kopf, holt tief Luft. Der graue Qualm steht dicht im Treppenhaus, Marcel Müller rennt nach unten. Auf der Höhe des zweiten Stockwerks muss er zum ersten Mal Atem schöpfen, der Rauch beißt in der Lunge, er sieht nichts mehr, dreht sich, verliert die Orientierung.

Im Flur, wo damals der Rauch stand, zündet sich heute Sandra eine selbst gedrehte Zigarette an. Nur mit viel Fantasie lässt sich in ihr die junge Frau auf dem Foto im Geldbeutel von Klaus Schulz erkennen. Durch das Heroin fehlen ihr viele Zähne, sie hat stark zugenommen, eine Nebenwirkung des Methadons, das sie für den Entzug nimmt. »Ich habe Zeit mit Klaus verbracht, und er wollte mir Geld geben«, sagt sie, »es war eine Zweckbeziehung. Ich brauchte das Geld, weil ich drogenabhängig war.« Mit der Zeit habe sich daraus dann mehr entwickelt. »Ich habe ihm aber niemals gesagt, dass ich Kinder mit ihm haben will. Ich habe ihm auch nie gesagt, dass ich ihn liebe, ich habe immer nur gesagt: Ich hab dich lieb.«

Sie sagt, sie gehe jetzt nicht mehr anschaffen, aber die Gleichung, dass man Geld bekommt und dafür Zeit und Aufmerksamkeit gibt, scheint für sie immer noch zu gelten. »Ich bin nur so lange mit ihm zusammen gewesen, damit es nicht heißt: Er hat mir so viel Geld gegeben und nichts dafür bekommen.« Es habe nicht gepasst mit ihnen beiden, er sei wie ein alter Mann gewesen, eher ein Vater als ein Liebhaber. Schon alleine die Musik, die er höre. Andrea Berg! Sie lacht. Techno, das sei für ihn der Dancefloor der Neunziger. Kopfschütteln, nein, sie wolle ihn nicht mehr sehen. Auf die Briefe, die er ihr aus dem Gefängnis schrieb, hat sie nicht geantwortet. Steven wohnt immer noch bei ihr. Sie nähmen beide keine Drogen mehr, sagt sie. Und: »Ich bin jetzt mit ihm zusammen.«

Das Gericht stellt später fest, Klaus Schulz habe am 12. Februar 2009 geglaubt, dass er und Sandra Reiter ein Paar seien. »Ob auch Sandra Reiter zu irgendeinem Zeitpunkt von einer partnerschaftlichen Beziehung mit Zukunftsperspektiven ausging, konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Die Kammer geht davon aus, dass Sandra Reiter den Angeklagten bewusst ausnutzte, um an finanzielle Mittel zu gelangen.«

Jener 12. Februar 2009 lief nicht gut für Klaus Schulz. Sandra ruft ihn wieder einmal an: »Kannst du mir bitte helfen?« Er fährt hin, schon an der Tür heißt es wieder: »Ich brauche dringend ein bisschen Geld. Bitte, mir geht es nicht gut.«

»Verdammt noch mal, hör mal auf mich und werd vernünftig. Hör auf mit den Drogen!«, beschwört Klaus Schulz sie im Hausflur. Sie sagt: »Bitte hilf mir noch ein letztes Mal.« Sie zieht ihn in die Wohnung. »Willst du, dass ich wieder anschaffen gehe?« Auf dem Sofa sitzt Steven, schaut teilnahmslos in den Fernseher. Klaus Schulz kocht innerlich. Aber wie immer scheut er den Konflikt mit dem Nebenbuhler – und auch den mit Sandra. Eigentlich will er Steven rausschmeißen, will toben und schreien. Stattdessen gibt er Sandra 50 Euro. Sie sagt, der Dealer komme gleich und er wisse ja, dass der ihn nicht sehen wolle. Sie drückt ihm noch den Müll in die Hand, den soll er mit hinunternehmen. Klaus Schulz geht wie betäubt, sie schließt die Tür hinter ihm. Dann steht er im Hausflur, die Mülltüte in der Hand, und zittert.

Er wirft den Abfall in die Tonne, läuft durch die Gassen. Es muss etwas passieren. Kurz danach kommt er zurück, die Haustür ist offen, wie meistens. Vom Treppenabsatz nimmt er eine Handvoll Anzeigenblätter mit. Er geht in den Keller, rollt sie zusammen, zündet sie an und hält das Bündel an die Latten einer Kellerbox. Als das Holz sich nicht entzündet, wirft er die brennenden Zeitungen einfach in die Box, in der Reifen und alte Elektrogeräte lagern. Dann hastet er die Treppe hoch, die Türgriffe, die er angefasst hat, wischt er mit dem Ärmel seiner Jacke ab. Er verlässt das Haus, in dem 21 Mietparteien wohnen, und läuft langsam nach Hause zur Wohnung seiner Mutter.

Sandra und Steven liegen im Bett, als sie merken, dass Rauch unter der Tür hindurch in die Wohnung zieht. Bald ist kaum noch etwas zu erkennen, sie stürzen hustend zum Fenster. Sandra ruft die Feuerwehr, aber die ist schon informiert. Vor dem Haus stehen Menschen im dichten Qualm. Der orientierungslose Marcel Müller mit seinem umwickelten Kopf ist in diesem Moment aus Versehen im Keller angekommen. Er dreht sich im Kreis, stolpert, verliert das Bewusstsein. In einem Seitenraum bleibt er liegen. Die Feuerwehr kommt, fährt mit der Drehleiter hoch zur Wohnung von Sandra und Steven. Aber die beiden müssen nicht gerettet werden, der Brand ist schnell unter Kontrolle, und sie können durch das Treppenhaus hinausgehen. Niemand ist zu Schaden gekommen, so scheint es.

Klaus Schulz ruft Sandra an. Als sie ans Mobiltelefon geht, steht sie auf der Straße, die Feuerwehr ist noch im Haus. Sie erzählt ihm, dass es gebrannt habe. »Meine arme Katze ist noch oben im Rauch«, sagt sie. Schulz fragt, ob er zu ihr kommen und ihr helfen solle. Sie sagt: Nein, das sei nicht nötig. Der Rauch im Keller ist noch dicht, aber die Feuerwehr hat den Brand gelöscht. Ein Feuerwehrmann geht zufällig in den vom Brandherd abgewandten Teil des Kellers. Auf dem Bauch liegt dort, ein Handtuch um den Kopf, Marcel Müller auf dem Boden.

Der Notarzt leitet sofort eine künstliche Beatmung ein, Müllers Zustand ist kritisch. Ein Rettungswagen bringt ihn in die Uni-Klinik, dort diagnostiziert man ein Lungenödem und eine Rauchgasvergiftung. Müller wird ins künstliche Koma versetzt. Drei Tage später lässt man ihn aufwachen. Er spricht und bewegt sich normal. Fünf Tage später wird er ohne Folgeschäden entlassen. Müller hat gewaltiges Glück gehabt. Und Klaus Schulz auch.

»Bild« nennt ihn einen Liebes-Dussel: »100000 Euro für 10-mal Sex«

Drei Mal legt er innerhalb eines halben Jahres noch Feuer in Sandras Haus. Einen Tag nach dem ersten Brand steht sein Freund Thomas Günther mit seinem Taxi am Haltestand gegenüber. Es ist schon dunkel, als Klaus Schulz die Beifahrertür öffnet. Er lässt sich in den Sitz fallen. Thomas Günther sieht gleich, dass etwas nicht stimmt. Schulz wirkt verstört. »Ich habe Scheiße gebaut«, sagt er. »Warst du das mit dem Brand?«, fragt Günther. Klaus Schulz nickt. Der andere fragt nicht nach, er weiß, dass sein Freund das Feuer wegen Sandra gelegt hat. Aber nach der dritten Brandstiftung geht Thomas Günther zur Polizei. Aus Angst vor Klaus Schulz, der nervlich am Boden und zu allem fähig sei, habe er so lange gezögert, gibt er bei seiner Aussage zu Protokoll. Sie endet mit den Worten: »Mein Wunsch ist, dass ihm geholfen wird. Er war früher ein feiner Kerl.«

Kurz darauf holt die Polizei Klaus Schulz von zu Hause ab. Bei der Vernehmung sagt er: »Alle Verdächtigungen stimmen, und ich möchte auch die Wahrheit sagen. Dann ist die Scheiße endlich vorbei.« Die Brände habe er aus Eifersucht gelegt. Da weder Flucht- noch Verdunklungsgefahr besteht, darf Schulz bis zur Gerichtsverhandlung auf freiem Fuß bleiben, er findet wieder Arbeit. Er fährt Brötchen aus. Mit seinem ersten Gehalt kauft er eine neue Satellitenschüssel – für Sandra.

Der Prozess findet ein halbes Jahr nach dem Geständnis vor dem Landgericht Halle statt. Sandra sagt aus, sie habe Klaus Schulz nie geliebt, sie sei nur wegen des Geldes mit ihm zusammen gewesen. In den vergangenen drei Jahren hätten sie vielleicht zehn Mal Sex gehabt. Die Bild- Zeitung nennt Klaus Schulz einen Liebes-Dussel und titelt: 100000 Euro für 10-mal Sex.

Klaus Schulz sitzt im Besuchszimmer, er kneift die Lippen zusammen, ein Mundwinkel zeigt nach unten, einer nach oben, wie ein umgestürztes, doppelt ratloses Fragezeichen. »Das tat so weh, als sie vor allen Leuten gesagt hat, sie sei nur wegen des Geldes mit mir zusammen gewesen«, sagt er. »Und wir hatten ja nur drei Mal Sex.« Die Staatsanwaltschaft fordert wegen schwerer Brandstiftung und Sachbeschädigung eine Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren. Das Gericht verhängt am Ende drei Jahre und acht Monate Gefängnis. Wegen Brandstiftung, eines Deliktes also, das forensische Psychiater als typisch ansehen für Menschen, die unfähig sind, Konflikte zu lösen, ihren inneren Spannungen zu begegnen, Kränkungen zu verarbeiten und die Konsequenzen ihres Handelns realistisch einzuschätzen. Im Urteil heißt es: »Es konnte nicht festgestellt werden, was der Angeklagte sich in Bezug auf Sandra Reiter von den Taten erhoffte.«

Wieder ist es Juli. Die Sonne scheint über der Frohen Zukunft, einem Stadtteil im Nordosten von Halle. Klaus Schulz ist inzwischen aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Burg in eine Nebenstelle der Justizvollzugsanstalt Halle verlegt worden. Orangerot leuchten die Zellentrakte hinter Stacheldraht. Die Mauern sind nicht so hoch wie in Burg. Klaus Schulz versucht hier, seine Taten mit einem Therapeuten aufzuarbeiten.

»Manchmal klingelt es in meinem rechten Ohr«, sagt er. Er wisse dann, dass Sandra an ihn denke. Er schweigt und blickt an die Wand, so als ob dort die ganze Geschichte als Film noch einmal abliefe. »Sie war schon die Richtige«, sagt er. Dann ist die Besuchszeit um. Der Justizbedienstete kommt, um ihn zurückzubringen in seine Zelle. Noch ein Jahr Gefängnis. Liebe kann wie lebenslänglich sein.

* Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden die Namen aller Personen geändert


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