Wir sind wieder da

Stuttgarter Zeitung 07.05.11
Eine mächtige Flut und ein riesiger Zyklon suchten den australischen Bundesstaat Queensland Anfang des Jahres heim - heute ist von den Folgen kaum mehr etwas zu sehen


Der Zyklon Yasi baute sich Ende Januar tagelang auf vor der australischen Ostküste auf, so mächtig wie der Hurrikan Katrina, der 2005 New Orleans verwüstete. Die Menschen in Nordostqueensland verbarrikadierten die Häuser, 30 000 wurden aus der Cairns der größten Stadt der Gegend evakuiert, der Rest zum Gehen aufgefordert - es werde mindestens 24 Stunden lang, keine Rettungseinsätze geben können, weil die Lage für die Helfer zu gefährlich werden würde.

Zwei Monate Monate später, eine Küstenstraße nördlich von Cairns. Hier stoßen zwei Weltnaturerben zusammen, der 110 Millionen Jahre alte Regenwald - und vor der Küste das Great Barrier Reef, das größte und wahrscheinlich bunteste Korallenriff der Welt, gleichzeitig die größten Attraktionen für Touristen in der Gegend. Umgeknickte Bäume und ein zerstörtes Korallenriff, das war das Horrorszenario für die Region.

Ende März plätschern Wellen sanft gegen die Klippen am Ufer, die Sonne spiegelt sich auf dem Meer - und dahinter erheben sich Baumfarne, dicke Stämme mit großem Blätterdach, Lianen, Kletterpflanzen, überall sattes Grün - und keine Spur von der Verwüstung eines Wirbelsturms.

Einen Tag später ankert 50 Kilometer entfernt von der Küste, die "Poseidon", ein Taucherschiff, am Great Barrier Riff, braun schimmert es unter der Wasseroberfläche, schlammiger Untergrund könnte man meinen. Doch unter Wasser: Bunte Korallen, leuchtende Anemonen, Fische in schillernden Farben. "Manchmal ist ein Felsen nicht mehr da, wo er vor dem Sturm war", sagt Herald Prins, niederländischer Meeresbiologe auf der Poseidon. "Aber das Riff hat sich nicht verändert durch den Sturm. es erholt sich schnell, das ist die Natur."

Zwei Monate nach dem Wirbelsturm ist von Verwüstungen im Nordosten Queensland kaum etwas zu sehen - außer an einem 120 Kilometer langen Küstenabschnitt zwischen Ingham und Innisfails, mit den schlimmsten Auswirkungen um Mission Beach, wo Yasi wirklich auf das Land traf - die Ostküste von Queensland ist mehr als 2000 Kilometer lang. Schon wenige Kilometer weiter nördlich und südlich sind keine Auswirkungen zu spüren. "Bei uns sind zwei Bäume umgekippt", sagt Greg Erwin, Direktor des Novotel Resorts in Cairns, eines Hotels mit großzügiger Parkanlage. "Aber keiner von den großen zum Glück." Aber die Gäste blieben danach trotzdem aus. Es wirkt, als habe Yasi vor allem eine Menge schlechte Publicity über Nord-Queensland gebracht.

1700 Kilometer südlich von Cairns, Brisbane, die Hauptstadt von Queensland. In der Region wütete Ende Dezember bis Mitte Januar die erste große Naturkatastrophe des australischen Sommers: Nach wochenlangen Regenfällen war eine Fläche von der Größe Deutschlands und Frankreichs überflutet worden, 120 Kilometer westlich von Brisbane in Toowomba ertranken 10 Menschen, die vom Wasser überrascht wurden. Die Schäden werden auf 15 Milliarden Euro geschätzt. Die Bilder von überschwemmten Straßen, weggerissenen Booten und Pontons gingen um die Welt.

Vier Monate später fließt der Brisbane-River gemächlich gen Pazifik, die Skyline spiegelt sich auf seiner Oberfläche. In den Straßen rund um den Fluss ist nichts mehr zu sehen von der mächtigen Flutwelle, 20 000 freiwillige Helfer haben Häuser, Asphalt und Grünanlagen befreit von dem zähen Schlamm, den Wasser angeschwemmt hatte. Jetzt erlebt man eine relaxte Großstadt im Spätsommer, Menschen schlendern durch die Straßen, der Verkehr wälzt sich langsam über die Story Bridge, die große Metall-Hängebrücke aus den 1940er Jahren, einem der Wahrzeichen der Stadt. Man muss schon suchen, um noch Folgen der Flut zu finden. Doch gegenüber der Story Bridge sieht man einen Steg, er ist unterbrochen für ein paar Meter, nimmt seinen Weg auf dem Wasser wieder auf, endet dann abrupt - vor der Flut verlief er am ganzen Ufer entlang, war beliebt bei Spaziergängern und Joggern. Jetzt sind nur einige Planken geblieben. 200 Meter weiter stehen dicke Betonpfeiler im Abstand von 20 Metern im Wasser. Vor einem Vierteljahr gingen über eine Brücke dazwischen Passagiere zur Anlegestelle einer Fähre. Jetzt sieht man an den Pfeilern die Stellen, an denen die Wassermassen sie abgerissen haben. Die Anlegestelle wurde noch nicht wieder hergerichtet. Direkt gegenüber liegt das Stamford Plaza Hotel, das erste Haus in der City von Brisbane. Hierhin hat der Tourismusverband von Queensland zu einer Pressekonferenz geladen, ein Zeichen soll hiervon ausgehen. Denn während der Flut stand das schlammige Wasser im Foyer, die gesamte Elektronik inklusive Klimaanlage und Liftmotoren wurden zerstört.

Umgerechnet 15 Millionen Euro wurden seit der Flut in die Renovierung gesteckt. Jetzt scheint es wieder golden von den Wänden, ein neuer Teppich wurde verlegt und es klingt sehr kämpferisch, wenn Anna Bligh Premierministerin von Queensland auf dem Podium steht und sagt: "Wir lassen uns nicht unterkriegen, wir sind wieder da!" 12 Millionen australische Dollar hat der Bundesstaat in einem Soforthilfeprogramm für den Tourismus bewilligt. Er ist mit einem Umsatz von umgerechnet sieben Milliarden Euro ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in dem 3,8 Millionen-Einwohner-Bundesstaat. 280 Millionen Euro hat der Tourismus verloren durch die Flutkatastrophe, die Verluste durch den Wirbelsturm Yasi sind darin noch nicht einmal eingerechnet.

"Im Norden von Queensland sind Regionen wirtschaftlich vom Zyklon betroffen, die physisch gar nichts abbekommen haben", sagt Jan Jarratt, Tourismusministerin von Queensland. "Im Süden sind die meisten Schäden beseitigt - aber das hat sich noch nicht herum gesprochen." Die massive Berichterstattung über die Naturkatastrophen hat die Menschen abgeschreckt - und die Meldungen über den Wiederaufbau schaffen es selten in die Schlagzeilen.

Die Flut und der Zyklon waren große Desaster - allerdings muss man down under nur die Zeitung aufschlagen, um zu sehen, dass Naturkatastrophen in Australien keine Seltenheit sind, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. In Perth wütete Ende März ein Buschfeuer, Bilder aus Victoria und New South Wales sehen ähnlich aus, wie die aus Südqueensland von vor drei Monaten - auch hier sind gerade ganze Straßenzüge überflutet. Australien ist ein Land, in dem es immer extreme Wetterphänomene gibt. Das Anpacken und Wiederaufbauen, das spürt man in vielen Gesprächen mit Betroffenen, gehört zum Geist seiner Bewohner.

Wie bei dem kleinen Bootsverleih, Riverlife am Ufer des Brisbane-Rivers. Ein Strich am Gebäude markiert, wie hoch die Flut im Büro stand - anderthalb Meter hoch. "Aber wir haben nur eine Gefriertruhe verloren", sagt Stewart Miller. Bevor die Flut kam, habe man bis zum letzten Moment die gesamte Einrichtung in die oberen Stockwerke gebracht - und dort ausgeharrt bis es vorbei war. "Und danach haben wir mit hunderten von freiwilligen Helfern, das Gebäude und das gesamt Ufer vom Schlamm befreit - jeden Stein haben wir abgewischt!" Eine Gruppe koreanischer Touristen besteigt nebenan gerade die Kajaks, normaler Geschäftsbetrieb. Außer dem Strich am Gebäude ist von den Folgen der Flut nichts mehr zu sehen.

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