Endstation
Sehnsucht
Frankfurter
Rundschau
Der
Mythos der heilen Bergwelt lebt – zumindest in den Liedern
der Kastelruther Spatzen. Aber wie ist es wirklich in Südtirol?
Einen
Wilderer stellt man sich eigentlich anders vor - vielleicht so: finsterer
Blick, durchtrainierter Körper, schwere Lodenkleidung. Aber der
Mittvierziger, der vor der Almhütte sitzt, sieht anders aus.
Klein ist er und untersetzt, trägt sehr kurze Shorts und ein ärmelloses,
schwarzes T-Shirt. Er hat einen roten Kopf, weil er sich so aufregt. "Jetzt
ist es mir egal! Ich schieße, was mir vor die Flinte kommt."
Ich lausche einem Gespräch zwischen zwei Männern vor der "Prossliner
Schwaige", einer Hütte mit Bewirtung inmitten blühender Alpenwiesen. "Während
der Schonzeit habe ich ständig Hirsche gesehen - und seit sie vorbei ist,
keinen einzigen mehr. Und dann schießt der Janosch, jetzt zu Anfang der
Saison, schon zwei Stück! Eine Frechheit ist das, was bleibt da noch für
uns?" Der andere antwortet: "Mir ist es wurscht - ich habe sowieso
keine Zeit, auf die Jagd zu gehen."
Es ist heiß an diesem Sommertag in Südtirol, ein leichter Wind rüttelt
an der Fahne mit der Aufschrift "Forstbier". Wir sind am Rande der
Seiser Alm, einem Hochplateau von 57 Quadratkilometer Größe. Im Hintergrund
ragt das schroffe Felsmassiv des Schlern in die Höhe wie ein mächtiges
Gebiss, dessen spitze Zähne sich von unten durch die sanfte, grüne
Hügellandschaft gebohrt haben. Aus einem Lautsprecher schallt Radio Tirol,
gerade verebbt "Bruttosozialprodukt" von Geier Sturzflug und dann
erklingt, vorgetragen mit der typisch weinerlichen Stimme, die Musik, die eigentlich
vor diese Kulisse gehört: "Berg ohne Wiederkehr" von den Kastelruther
Spatzen.
Die erfolgreichste deutschsprachige Volksmusikband (16 Millionen verkaufte Alben)
lebt unten im Tal, wo der altrosa Kirchturm steht. Ihre Musikvideos dreht sie
bevorzugt hier oben auf den saftigen Almwiesen, fast immer mit dem charakteristischen
Schlernfelsen im Hintergrund. 60 000 Touristen reisen jedes Jahr in den Naturpark
Schlern, viele wegen der Kastelruther Spatzen.
Die Fans kommen, um die Landschaft zu sehen, die sie als Video-Kulisse kennen.
Sie kommen in Massen zum dreitägigen "Spatzenfest" im Herbst.
Und sie kommen das ganze Jahr über, um ihre Stars im Alltag zu erleben.
Auch ich werde einen von ihnen treffen, am letzten Tag meines Aufenthalts in
Kastelruth. Vorher will ich mir selbst ein Bild machen. Was findet man von der
heilen Welt und den Bergdramen, die die Kastelruther Spatzen besingen? Was ist
das für eine Gegend die zu Textzeilen inspiriert wie:
" Und die Gefühle die blieben dort,
am Berg ohne Wiederkehr..."
Mein erster Weg hat mich mit Bergführer Robert Egger zur Prossliner Schwaige
geführt, ein Mann mit Drei-Tage-Bart und vom Wetter gegerbtem Gesicht.
Bei einem Radler blicken wir zum charakteristischen Felsen herüber. Der
56-Jährige erzählt von seiner ersten Begegnung mit der Santnerspitze,
dem vorgelagerten Säbelzahn des Massivs. An dem Tag damals im Juni 1964
sollte es schwül werden, gefährlich schwül für das, was
Robert Egger und Pepi Schmuck, beide 16 Jahre alt, vorhatten.
Aber das konnten die Jugendlichen nicht wissen, als sie um drei Uhr nachts bei
leichter Bewölkung loszogen, um die Santner-Spitze zu besteigen. Überhaupt
wussten sie nicht viel vom Bergsteigen damals, sie wollten einfach hinauf auf
den Gipfel, der eines der Wahrzeichen von Südtirol ist.
Um sechs Uhr morgens, der Himmel hatte sich schon zugezogen, erreichten die
beiden die Hütte Schlernboden, hinter der das Grün aufhört, hinter
der sich fast senkrecht die steile Felswand erhebt, mehr als 500 Meter hoch.
Dort trafen sie auf Hugo Prossliner (19), diskutierten mit ihm, ob man den Aufstieg
wagen solle. Die Luft war heiß und feucht, doch die Jungs, jetzt zu dritt,
beschlossen, die Felswand in Angriff zu nehmen. Schnell stiegen sie hinauf,
entlang der in den Fels geschlagenen Nägel, gut klappte es, nur der Himmel
wurde dunkler und dunkler, ein Donnern war nicht zu hören. Kurz unterhalb
des Gipfels merkten die Drei, dass die Luft elektrisch geladen war, ihre Haare
standen vom Kopf ab, die Felsen knisterten, beides untrügliche Zeichen,
dass sie sehr nahe an einem Gewitter waren. Dass Blitzschläge lebensgefährlich
sind, wussten die Jugendlichen. Aber der direkte Weg zurück war steil und
gefährlich. Die Jungs entschieden sich, noch auf den Gipfel zu gehen und
sich auf der anderen Seite abzuseilen, der einfachere Abstieg, aber ein verhängnisvoller
Fehler.
An das, was auf der Santner-Spitze in den nächsten beiden Stunden passierte,
hat Robert Egger keine Erinnerung mehr. Er wachte auf, durchnässt, den
Rücken an einen Felsblock gelehnt, hatte starke Schmerzen, Verbrennungen
von der rechten Schulter bis zur rechten Ferse - der Weg, den der Blitz durch
seinen Körper genommen hatte. Er stand auf, humpelte zu Hugo, der bewusstlos
war, aber atmete. Er schaute sich um, sein Kumpel Pepi Schmuck war nicht zu
sehen. Später fand man ihn 700 Meter tiefer, sein Körper auf einem
Felsen zerschmettert, eine heftige Böe hatte ihn wohl in die Tiefe gerissen.
Egger und Prossliner konnten mit Hilfe der Bergrettung und anderer Bergsteiger,
die kurze Zeit später zum Gipfel kamen, absteigen. Egger stieg noch im
gleichen Jahr wieder auf die Santnerspitze, in den folgenden Jahren war er jeden
Sommer 15 bis 20 Mal dort oben, 1972 ging er als erster einen neuen Weg zum
Gipfel, über die extrem steile Nordflanke, er nannte sie "Pepi-Schmuck-Gedächtnisweg".
Hugo Prossliner ging nie wieder auf eine alpine Bergtour.
" Das war brutal damals", sagt Egger, und schüttelt nachdenklich
den Kopf. "Heute bin ich mit meinen Gästen immer früh morgens
auf dem Gipfel - die meisten Gewitter kommen nachmittags."
Die Berg-Dramen, es gibt sie, aber eher in der Geschichte. "Abstürze
kommen kaum noch vor bei uns, die Masse der Unfälle sind heute Kreislaufkollaps
und Herzinfarkt, meistens beim Wandern und nicht beim Bergsteigen." Die
Ausrüstung sei viel besser als früher, die Routen detaillierter beschrieben,
die Kletterer gut informiert.
Er blickt über die Wiese zum Schlernmassiv. "Es isch scho einmalig
hier." Findet er seine Liebe zur Heimat in den Texten der Kastelruther
Spatzen wieder? "Das ist Musik für Leute, die große Probleme
haben; dieses langweilige, alles liebhabende, das mag ich nicht", sagt
er. "Nicht, dass ich's kritisieren tät'. Durch die Spatzen hört
man immer wieder von unserem Gebiet, und das ist schon zu begrüßen."
" Die weiße Braut der Berge wird sie heute noch genannt
die Blume aller Blumen hoch in der
Felsenwand"
Die Erinnerung treibt Heinrich Abraham an. Es donnert, dunkle Wolken stehen über
dem Schlernmassiv, erste Tropfen fallen. Doch der 58-jährige Kräuterfachmann,
große metallgerahmte Brille, schmale, verkniffene Lippen, trägt keine
Jacke, nur ein kariertes Hemd. Mit schnellen Schritten ist er auf der Suche
nach einer Blumenwiese, wie er sie aus seiner Kindheit kennt. Leicht ist so
etwas nicht zu finden hier unten im Tal. An den Seiten des Feldweges, der aus
Kastelruth herausführt, ist das Gras kurz geschnitten, dunkelbraun zeichnen
sich darin Traktor-Spuren ab.
Ich hatte Abraham gebeten, mich durch die von den Kastelruther Spatzen so gepriesene
Natur im Schlerngebiet zu führen. "Früher hatten wir hier überall
blauen Enzian, heute ist das eine Kostbarkeit, für die man weit aufsteigen
muss", sagt Abraham professoral. "Durch das Ausbringen von Gülle
und den Einsatz schwerer Erntemaschinen verlieren sich viele Pflanzenarten."
Doch dann, hinter einem Hügel: eine abschüssige Wiese, schon von weitem
hören wir das Zirpen der Grillen. "Das hier ist eine ganz tolle Wiese,
das höre ich schon", sagt Abraham. Vor uns stehen hüfthoch wogende
Gräser, dazwischen tiefblau blühender Wiesensalbei, lila Witwenblumen. "Vor
ein paar Jahren hat es das noch nicht gegeben. Die Milchwirtschaft hat keine
große Zukunft mehr, damit geht die intensive Landwirtschaft langsam zurück." Er
zupft die Blüte eines Immenblatts ab, lutscht den Nektar heraus. Vor 22
Jahren, Frank Elstner hatte "Wetten, dass…?" gerade aus der
Taufe gehoben, war Abraham zu Gast im Fernsehen. 100 Pflanzen, hatte er gewettet,
könne er mit verbundenen Augen auseinander halten, durch Tasten, Schmecken
und Riechen. Er schaffte es, wurde Wettkönig.
Beim Anblick der Blumenwiese gerät der sonst so nüchterne Wissenschaftler
ins Schwärmen. "Wenn ich müde bin und sehe diese Farben, blühe
ich wieder auf." Sind die Kastelruther Spatzen der Soundtrack zu dieser
Wiese? Der 58-Jährige lächelt. "Ich liebe klassische Musik. Wenn
hier mit riesigem Aufwand ein klassisches Konzert veranstaltet wird, kommen
nur ein paar Leute - und wenn die Kastelruther Spatzen spielen, dann kommen
Tausende, das ist natürlich ein bisschen enttäuschend. Ich will mich
aber nicht negativ äußern und sage: Ich höre ab und zu ein Stück
von ihnen."
" Wenn einmal der Applaus verklingt,
dann geh' ich einfach heim,
und Bauernbub von Kastelruth,
das werd' ich immer sein."
Schnupftabak klebt unter der Nase von Elmar Schieder, lange braune Haare, muskulöse
Arme, 28, Bergbauer aus Tisens, einem Ortsteil von Kastelruth. "Natürlich
fahre ich Jauche aus auf der Alm, sonst wächst da viel zu wenig. Der Aufwand,
dort zu mähen, würde sich nicht lohnen ohne die Düngung." Samstagnachmittag,
im Schatten eines Nussbaumes vor der Haustür des Bauernhofs, sitzt er mit
seinen beiden Schwestern, die eine Juristin, die andere Grundschullehrerin.
Daneben steht der Kuhstall, Baujahr 1928, 20 Meter weiter die Jauchegrube, Baujahr
2005. "Ich musste die bauen, eine EU-Norm hat mich dazu gezwungen. 60 000
Euro hat das gekostet, zehn Jahre lang kann ich jetzt die Schulden abzahlen."
16 Milchkühe hat Schieder, das Heu, das sie im Winter fressen, muss zum
großen Teil von Hand gemäht werden, weil die Hänge, auf denen
es wächst, zu steil für Maschinen sind. Landwirtschaft im Hochgebirge
lohnt sich schon lange nicht mehr - eigentlich. Im Winter sitzt Schieder jede
Nacht in der Pistenraupe, manchmal 16 Stunden am Stück. "Ich muss
in fünf Monaten das Geld für das ganze Jahr verdienen."
Warum nicht aufhören mit der Landwirtschaft? "Niemals, dafür
ist der Stolz zu groß. Wenn du in Südtirol Bauer bist, dann bist
du wer." Elmar Schieder spricht mit fester Stimme, klingt pathetisch. Er
wirkt wie ein Held, der für seine Überzeugung, den eigenen Hof zu
halten, allen Widrigkeiten trotzt.
" Vielleicht ist es unser Glück, dass die Landwirtschaft bei uns noch
so ursprünglich ist, denn unsere Gäste suchen Ruhe, die wollen zurück
zur Natur. " Die Schieders vermieten auch Zimmer, Ferien auf dem Bauernhof. "Ohne
die Einnahmen aus dem Tourismus könnte ich kein Bauer mehr sein", sagt
Schieder. "Unser Glück hier sind die Kastelruther Spatzen. Was die
an Werbung für die
Region machen, ist unbezahlbar - und zwei von ihnen sagen mit Stolz, dass sie
Bauern sind."
„Wenn
die Sonne sinkt in meinen
Dolomiten,
denk’ ich oft noch an das Mädchen
aus der Stadt /
Sie kam mit dem Sommerwind
war voller Neugier wie ein Kind.“
Simone
Poka hat ihren Traum wahr gemacht. Als Kind hat sie die Kastelruther
Spatzen schon gehört, auch später, als die anderen Jugendlichen
begeisterte Fans der "Kelly Family" oder der Boygroup "Caught
in the Act" waren, ist sie der volkstümlichen Musik treu
geblieben. Mit 18 hat die gelernte Köchin dann den Sprung gewagt
und ist von Straubing nach Südtirol gegangen, um dort zu leben.
Drei Jahre ist das jetzt her. Simone Poka, rundes Gesicht, die gelockten braunen
Haare zu einem Zopf geflochten, sitzt in ihrer weißen Kochjacke auf der
Terrasse des Hotels "Ritterhof" in Seis, drei Uhr nachmittags, Pause.
Es dudelt Panflötenmusik. "Durch die Spatzen habe ich Kastelruth kennen
und lieben gelernt", sagt sie. Am Anfang war es nicht einfach, allein in
der Fremde, ohne Familie und Freunde. Aber mittlerweile hat sie sich etabliert,
hat Freundschaften geknüpft und sich mit harter Arbeit, zwölf Stunden
und
mehr am Tag, in der Gastronomie Respekt verschafft. Mit Albin Gross, dem Keyboarder
und Manager der Spatzen, ist sie "per Du",
sagt sie. Bei Konzerten verkauft sie mittlerweile Programmhefte und Fanartikel. "Bei
mir wissen sie halt, dass ich die Simone bin, dass ich Köchin bin. Und
bei den anderen erinnern sie sich nicht, wo sie die schon mal gesehen haben." Sie
klingt stolz, auch wenn die Spatzen für sie jetzt nicht mehr die Strahlemänner
sind, die sie auf der Bühne und in ihren Videos verkörpern. "Denen
geht es auch mal schlecht, kein Mensch ist 365 Tage im Jahr gut drauf." Und
ist der Traum ausgeträumt, will sie irgendwann zurück nach Deutschland? "Das
kommt darauf an, wo ich einen Mann finde", sagt sie.
"Denn
so richtig gut, so richtig
wirklich gut,
geht’s uns doch nur daheim -
daheim in Kastelruth"
Samstagabend
in Kastelruth, es ist ruhig geworden auf dem Dorfplatz zwischen dem
Kirchturm und dem mächtigen Gemeindehaus aus dem 17. Jahrhundert.
Die Busse aus Deutschland und Österreich sind weg und mit ihnen
die vornehmlich über 50-jährigen Touristen, die tagsüber
in Massen durch das Dorf schlenderten. Ein paar Jugendliche sind zu
sehen, alle gehen in dieselbe
Richtung. Es scheint noch einen Ort zu geben, an dem etwas los ist heute Abend.
Die "Dorfschenke" ist so voll, dass die Leute vor der Tür und
im Gang stehen. Drinnen ist es stickig und laut, aus dem Lautsprecher kommt "Highway
to Hell" von AC/DC, die beiden Jungs hinter der ovalen Theke hetzen von
einer Seite zur anderen, hier ein Wodka-Red Bull, dort ein Cuba Libre. Das junge
Kastelruth geht hier aus. Spatzenfreie Zone, zumindest musikalisch.
Sigrid Rauch, 17 Jahre, blond, kräftige Arme, sagt, sie mag "Limp
Bizkit", Musik der härteren Gangart aus den USA. "Aber das Spatzenfest
muss man erlebt haben! Wie die Fans auf den Tischen tanzen, jedes Lied mitsingen
und ihre Pullover schwingen, das gibt es auf keinem Rockkonzert." Ich nehme
Platz am Tisch von Klaus Tribus, 22, Vermessungstechniker, sonst eher Freund
von Technomusik. "Da gefällt einem sogar die Spatzenmusik", sagt
er und bestellt Rum-Cola. "Ich war zehn Tage in Ägypten, da fehlt
mir Südtirol schon." Reinold Trocker, 31: "Ich habe acht Jahre
in Wien Informatik studiert, ich habe genug Partys gehabt, ich habe alles gesehen." Heute
lebt er in der Nähe von Kastelruth, fährt jeden Tag mit dem Auto nach
Bozen zur Arbeit.
„Immer
noch und immer, immer wieder, Kastelruther Spatzen-Fieber.“
Albin Gross gibt Gas, der Keyboarder und Manager der Kastelruther Spatzen beschleunigt
seinen Mercedes SLK, Cabrio, rote Ledersitze. Wir sind auf dem Weg von Kastelruth
nach Seis, von dort aus führt eine Gondelbahn hoch auf die Seiser Alm -
der Ort, an dem die Spatzen, auf saftigen Wiesen stehend, das Schlernmassiv
im Hintergrund, die meisten ihrer Videos gedreht haben.
Die Bühnen-Tracht hat Gross für unseren Ausflug im Schrank gelassen.
Die Kastelruther Spatzen tragen Lederhosen, kniehohe Stiefel und Westen, alles
in schwarz. Heute hat Gross sein Sonntagsoutfit angelegt: beiger Anzug, italienische
Lederschuhe, Goldkettchen, rosa Hemd, zwei Knöpfe geöffnet.
Wir setzen uns auf eine Bank auf einer Anhöhe, Gross zeigt auf eine Almhütte: "Dort
hinten habe ich als Kind Kühe gehütet." Auf der Alm seiner Großeltern
verbrachte er die Sommer. "Damals war nichts los hier." Heute startet
hinter der Hütte ein Sessellift, daneben steht ein Hotel. Die sanften Hänge
der Seiser Alm sind touristisch stark erschlossen, im Sommer kommen Wanderer
und
Spaziergänger, im Winter Skifahrer, braune Stellen in den Hängen künden
davon. Aber die Aussicht über das Hochplateau und auf das Schlernmassiv
ist großartig. "Das ist die schöne Heimat, die wir Kastelruther
Spatzen besingen, das ist kein Kitsch und wenn die Leute im Urlaub hierher kommen,
dann sehen sie, dass es wirklich so ist."
Albin Gross ist seit zwei Jahren selbst Hotelier, betreibt gemeinsam mit seiner
Frau einen Getränkegroßhandel, die Geschäfte mit den Spatzen
laufen sehr gut. Gibt es Neid in der heilen Welt von Kastelruth? "Direkt
ins Gesicht sagt einem keiner etwas Böses, hintenrum schon - aber: Neid
muss man sich hart erarbeiten, und das haben wir getan." Und dann sagt
er etwas Überraschendes: "Die Leute, die immer nur in einem Kuhdorf
wie Kastlruth gelebt haben, sind verbohrt. Die Jungen heute sind weltoffener,
die Intrigen und Neidgesellschaften, da können die nur drüber lachen." Seine älteste
Tochter (24) ist Ökonomin und lebt in Barcelona, seine zweite Tochter macht
gerade ein Praktikum in einem Kinderheim in Ecuador.
„In
der Felsenwand des Lebens ist
die Liebe wie ein starkes Seil,
das verbindet in der schweren Zeit und
das uns rettet vor dem tiefen Fall.“
Wir
fahren wieder ins Tal, dann mit dem Mercedes kurz beim Gross’schen
Getränkegroßhandel vorbei. "Den führt meine Frau,
die ist mein großer Rückhalt, wir sind jetzt seit 25 Jahren
verheiratet." Schwierige Phasen habe es gegeben. "Aber da
sind ja noch die Kinder, die halten eine Ehe zusammen." Im Steckbrief
von Albin Gross auf der aktuellen DVD steht: "Frauen wollen die
Treue, Männer sehen das etwas anders." Gibt es Groupies
bei den Spatzen?
" Musiker sind begehrt, da muss jeder selber wissen, was er tut. Die Wölfe
reißen, wenn sie losgelassen werden. Aber das sind Phasen im Leben, man
wird dann vernünftiger."
Wir erreichen das Hotel von Albin Gross, ein zweistöckiges Haus mit vier
Flügeln und 32 Apartments. Gross verschwindet hinter dem Tresen, man hört,
wie eine Frau ihm laut Vorwürfe macht: "Hier kam eine Frau, die hat
eine wahnsinnige Show abgezogen. Sie hat gesagt, sie hat alles verkauft, um
hierher zu kommen und bei dir zu sein. Und du fährst einfach weg. Da musst
du dich drum kümmern!"
Die Antwort bleibt aus, weil gerade eine schwäbische Familie an die Rezeption
kommt, Eltern, zwei Kinder und Großeltern. Sie wollen sich verabschieden,
freuen sich, dass sie noch ein Erinnerungsfoto mit dem Keyboarder der Kastelruther
Spatzen machen können. Gross nimmt die Damen großherzig in den Arm,
der Vater fotografiert, hastig, aufgeregt. "Wir sehen uns auf dem Konzert
im Herbst oder spätestens nächstes Jahr wieder hier", sagt die
Mutter. Dann steigt die Familie in ihre beiden Autos, der Vater blickt sich
nach Gross um, erst als der sich zu ihm dreht und noch einmal winkt, fährt
er los. Raus aus der heilen Bergwelt, rein in den Alltag. "Bis wir wieder
kommen, hören wir eure Lieder", ruft die Mutter aus dem offenen Fenster. |