»Ich
werde nie so gehen wie John Wayne«
Frankfurter
Rundschau MAGAZIN 10.07.04
Thomas Anders über Billigfritzen wie Dieter Bohlen, den Ruhm der
80er und minderwertigen Winzersekt auf Inlandsflügen
Herr Anders, halten Sie eigentlich noch den Weltrekord
im Schaumschlagen?
Ja, noch immer. Das war eigentlich ein Fernseh-Gag, bei der Guinness-Show.
Ich habe in 47 Sekunden vier Eiweiß so fest geschlagen, dass
sie in der Schüssel klebten. Ich bin gegen Dieter Bohlen angetreten.
Er hat es aber nicht hin bekommen.
Das war wohl das einzige Mal, dass Sie Bohlen hinter sich gelassen
haben.
Ach wissen Sie, ich muss nicht immer an erster Stelle stehen. Manchmal
lebt man als Zweiter wesentlich ruhiger. Ich bin einfach nicht so,
ich muss keine Randale machen. In den Achtzigern war ich ja die Nummer
eins - ohne mich darum zu prügeln, auf die Titelseiten zu kommen.
Kaum vorstellbar, dass Dieter Bohlen Ihnen damals die Schlagzeilen überlassen
hat.
Ja, er hat einen erstaunlichen Wandel hinter sich, daran sollte man
ihn mal erinnern. Aber so war es. Am Anfang sagte er: „Ich will
nicht nach draußen, ich will nur produzieren.“
Warum ist es dann doch anders gekommen?
Weil der Erfolg mit Modern Talking praktisch über Nacht kam. Ich
hatte mit Dieter meine deutsche Single aufgenommen, wie hieß die
noch? Ach ja: „Es geht mir gut heute Nacht“. An diesem
Tag kam er zu mir: „Ich habe da einen englischen Titel geschrieben,
würdest du den mal einsingen?“ Der Song war „You're
my heart, you're my soul“.
Und das war die Geburtsstunde von Modern Talking?
Ja. Den Namen die Sekretärin der Plattenfirma erfunden, als sie
durch die Charts ging. Es war die Zeit von „Talk Talk“ und „Talking
Heads“ und jeder Menge Titel mit „Modern“. Dann hieß es:
Wir brauchen noch eine andere Stimme, einen anderen Typen neben dem
Anders. Weil aber keiner wusste, ob der Titel in die Charts geht, haben
wir gesagt: Na, wenn es denn mal so weit ist, dann gucken wir nach
einem Model, das wir neben den Anders stellen.
Dann wurde Dieter Bohlen das Model?
Das hat sich so ergeben. Anfang Januar 1985 sagte die Sekretärin:
Ihr seid nächste Woche in den Charts. Das hieß: Fototermin
mit Bravo, Auftritt bei Formel Eins. Jedenfalls hatten wir überhaupt
keine Zeit mehr, ein Model zu casten, sondern es hieß: Komm,
Bohlen, stell dich mal hin. Austauschen können wir dich ja immer
noch. Drei Wochen später waren wir Nummer eins und blieben es
acht Wochen. In 80 Ländern wurden wir Nummer eins. Jetzt ließ sich
der Bohlen nicht mehr austauschen.
Bohlen war der kantige Typ, der hatte damals schon dieses verwitterte
Gesicht, und Sie gaben den androgynen Langhaarigen.
Das kam einfach so. Da hat sich kein Imageberater das Hirn zermartert.
Wer hätte denn bitte Dieter Bohlen sagen sollen: Du musst jetzt
pastellfarbene Jogginganzüge tragen? Das war Zeitgeist, das waren
die Achtziger.
Was denken Sie, wenn Sie Ihre Fotos von damals sehen?
Manchmal muss ich wirklich lachen. Ich stehe davor und denke: Das kann
ich nicht gewesen sein. Aber das geht uns doch allen so mit den Achtzigern.
Damals war kein Mensch so gestylt, dass man heute denkt: Wow, der liegt
aber ganz weit vorn.
Wo ist eigentlich Ihr Nora-Kettchen?
Diese Frage können Sie sich wohl nicht verkneifen. Die Antwort
ist ganz unspektakulär. Sie hat 5500 Mark gekostet und liegt im
Safe. Ich hatte dieses Kette drei Jahre an. Seit 15 Jahren trage ich
sie nicht mehr, trotzdem erinnert sich jeder daran. Das ist wirklich
nicht schlecht. Jede Firma würde dafür einen Marketing-Preis
vergeben.
Vielleicht liegt es auch an Nora. Man nannte ihre Ex-Frau auch die
Yoko Ono von Koblenz.
Ja, es wurde immer gesagt, sie habe Modern Talking auseinander gebracht...
Und habe Sie unterdrückt.
Für uns war das doch ein Spaß. Ich lebe doch in der Öffentlichkeit.
Es wäre viel schlimmer gewesen, es hätte sich keiner über
meine Frisur, meine Klamotten und meine Kette Gedanken gemacht. Heute
läuft es doch nicht anders. Die meisten Promis lassen sich Geschichten
einfallen, um auf die erste Seite der Bild-Zeitung zu kommen.
Dann müssen Sie Dieter Bohlen für die Schlagzeilen im Herbst
ja dankbar sein. Man könnte meinen, die ganze Kampagne sei abgesprochen
gewesen.
Das ist Unsinn. Für eine solche Geschichte würde ich mich
nie hergeben. Ich verbiege mich nicht für eine Schlagzeile. Dinge
sind nur dann gut, wenn sie authentisch sind. Man sieht es doch an
Bohlen. Als man merkte, er hat überzogen und seine Beliebtheitskurve
sinkt rapide, da titelte Bild: Bohlen kümmert sich um Kinder in
der Ukraine. Das glaubt doch kein Mensch. Da lachen sich doch alle
tot.
Aber der Begriff „Authenzität“ fällt oft
im Zusammenhang mit Bohlen. Viele sehen ihn offenbar als ehrlichen
Proll.
Na eben. Und so einer kümmert sich doch nicht um ukrainische Kinder.
Und er will ja auch kein Proll mehr sein. Er möchte Anerkennung
und in die heiligen Hallen der unsterblichen Künstler aufgenommen
werden. Und gleichzeitig lässt er sich als Wackeldieter verkaufen
und spielt den Billigfritzen für einen Mediadiscounter.
Bisher geht das doch ganz gut. Bohlen scheffelt Geld und steht
ständig
vor der Kamera.
Es geht ja nicht um Erfolg sondern darum, ob er glücklich ist.
Ich glaube, er wird an dem Spagat zwischen eigenem Anspruch und Realität
zugrunde gehen. Ein Werbefachmann hat letztens gesagt: Bohlen wird
verschlissen, er macht viel zu viel, nimmt alles was kommt.Und ein
Journalist hat es auf den Punkt gebracht: „Bohlen hat sich zu
Tode gesiegt.“
Das wäre dann auch schade für Sie. Sie leben ja ganz gut
mit Ihrem populären Feind.
Das ist doch vorbei. Momentan mache ich mein Ding alleine. Ich habe
ein- bis zweimal meine Solo-Fernsehpräsenz, mein Solo-Album, meine
eigenen Shows, mache die Titelmusik für „Holiday on ice“.
Und dann saßen Sie plötzlich in der Jury zu Stefan Raabs
Grand-Prix-Casting - während Bohlen bei den Superstars richtete.
Das war aber so nicht gedacht. Und ich habe auch alle anderen Teilnahmen
an Castings abgesagt, weil ich diesen Eindruck nicht erwecken wollte.
Andererseits: Warum soll ich etwas nicht machen dürfen, wenn Bohlen
es gemacht hat? Die Frage muss doch heißen: Ist es interessant,
reizt mich das?
Sie sind also mittendrin im Emanzipationsprozess.
Das sieht für die Öffentlichkeit vielleicht so aus. Ich bekomme
viele Anfragen und Angebote von Fernsehsendern oder Werbeagenturen,
die ich früher nicht bekam. „Sie haben jetzt ja mehr Zeit“ oder „Solange
Sie noch bei Modern Talking waren, hätte das nicht gepasst“,
antworten die, wenn ich frage, warum sie sich jetzt bei mir melden.
Mein ganzes Leben hat mit Bohlen nichts mehr zu tun. Ich gehe meinen
eigenen Weg, auch was die Musik angeht.
Ihr letztes Album war nicht sehr erfolgreich. Es kam nicht unter die
Top-Ten.
Ich habe nie behauptet, dass ich die Erfolge von Modern Talking einholen
kann. Wir haben nun mal hundert Millionen CD's verkauft. Meine Solokarriere
muss ich mir doch ganz neu aufbauen - und bisher läuft es besser
als all das, was ich Anfang der neunziger Jahre gemacht habe. Man ist
ja heute auch nicht mehr nur Interpret, sondern Gesamtkünstler
in der Unterhaltungsindustrie. Ich moderiere meine eigene Fernsehsendung,
habe vor elf Millionen Menschen das deutsche Begleitprogramm zum Grand
Prix präsentiert. Grund genug zufrieden zu sein, oder? Ich will
mich aber nicht überall anbiedern wie Bohlen.
Sie wollen doch auch gemocht werden, oder?
Ja, sicher. Aber ich bin einfach nett. Ich muss mich gar nicht anstrengen,
ich bin einfach so
Sie gelten als das Weichei der Nation.
Ist man Weichei, wenn man sanft ist? Es könnte doch ein Zeichen
für Klugheit sein? Ich kenne diesen Ruf übrigens gar nicht,
Sie haben das gesagt.
Anastasia, eine junge MTV-Moderatorin, sagte nach dem Ende von
Modern Talking, sie sollten am besten einen Frisörsalon mit Nagelstudio
aufmachen.
Ja, aber wer ist denn diese Anastasia? Dieses Mädchen, die glaubt,
weil sie dreimal bei MTV den Mund aufgemacht hat, hätte sie irgendeine
Kompetenz. Wenn schon tausend Jahre lang keiner mehr an Anastasia denkt,
werde ich immer noch da sein. Ich bin nach 20 Jahren Business immer
noch einer, über den man spricht.
Wenn es nach den Musikkritikern gegangen wäre, würde heute
keiner mehr über Sie sprechen.
Ach wer sind denn schon Kritiker? Das sind doch nur frustrierte Kreaturen,
die den Erfolg neiden. Es gibt sehr wenige Kritiken, die mich ansprechen.
Oft lese ich sie durch und denke: Thema verfehlt, fünf. Man liest
raus, dass es persönliche Ressentiments gibt. Vielleicht mag der
Kritiker meinen Lifestyle nicht, vielleicht haben wir zu viele Platten
verkauft.
Sie klingen jetzt ein bisschen verärgert. Können Sie richtig
wütend werden?
Sauer werde ich, wenn Leute mich ganz bewusst verarschen und bei schlechter
Dienstleistung. Ich versuche den Menschen respektvoll gegenüber
zu treten und ärgere mich, wenn ich im Gegenzug nicht gut behandelt
oder bedient werde.
Das heißt, Sie rasten im Restaurant oder im Supermarkt aus?
Ich werde da nicht laut. Proletentum liegt mir nicht. Aber ich kann
dann schon mal sagen: „Wissen Sie, wenn Ihnen Ihr Job nicht gefällt,
dann wechseln Sie ihn doch, und holen Sie bitte mal ihren Vorgesetzten.“
Zum Beispiel, wenn Sie auf Inlandsflügen keinen Champagner
bekommen?
Nein, ich habe mich darüber aufgeregt, dass man mir einen billigen
Winzersekt als Champagner verkaufen wollte. Da wurde ich sauer. Nicht
weil es keinen Champagner mehr gibt, was ich zwar Scheiße finde,
denn ein Flug kostet immer noch ein paar hundert Euro, da darf es doch
an einem Piccolo Schampus nicht fehlen, oder?
Sie pflegen das Bild des Lebemannes.
Natürlich. Ich transportiere diesen Lifestyle. Und ich kokettiere
damit. Als ich beim Wok-Rennen mitgemacht habe...
...der von Stefan Raab initiierten Weltmeisterschaft, bei der sich
Prominente auf einem Küchenwok die Bobbahn hinunterstürzen.
Genau. Also, die Moderatorin Aleks Bechtel fragte mich, ob ich Panik
hätte, und ich geantwortet: „Nein, gar nicht. Mein einziges
Problem: ich weiß nicht, in welcher Hand ich mein Glas Champagner
halten soll.“
Und hatten Sie Angst?
Ich hatte tierisch die Hosen voll. Der schlimmste Moment ist der Start.
Da oben zu sitzen und sich abzustoßen und dann mit der Pfanne
die Eisbahn runterzujagen. Das ist eigentlich gegen meine Natur.
Viele waren erstaunt, dass Sie es riskieren, sich dreckig zu machen
oder eine Schramme in Kauf zu nehmen. Anscheinend hält sich Ihr
androgynes Image hartnäckig - trotz Dreitagebart und kürzeren
Haaren.
Also wer mich noch als androgyn bezeichnet, soll sich eine Binde mit
drei gelben Punkten kaufen. Ich werde niemals so gehen wie John Wayne.
Aber immerhin habe ich das Wokrennen überlebt.
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