»Mein
Rat: Heiraten Sie eine Nigerianerin«
ZEIT
WISSEN 03.09
Wir werden
auch weiterhin unter schlechten Zähnen und Erbkrankheiten leiden,
weil wir die Evolution angehalten haben, sagt der Genetiker Steve Jones.
Schuld seien treue Väter, die Kleinfamilie und Verhütungsmittel.
Fänden sich aber die richtigen Partner, könne die Menschheit
gesünder werden.
Herr
Professor Jones, wann befreit uns die Evolution endlich von Rückenschmerzen und Dummheit?
Leider müssen wir uns darum selbst kümmern – der
Mensch wird sich in absehbarer Zeit nicht mehr an äußere
Bedingungen anpassen. Unsere Evolution ist beendet.
Warum werden wir Menschen dann immer größer?
Die Größe hat immer geschwankt. In der Steinzeit
waren die Menschen groß, dann erfanden sie die Landwirtschaft – und
wurden kleiner, im Durchschnitt sechs Zentimeter in nur 100 Jahren.
Seit der Industrialisierung wachsen wir wieder. Das hat wohl mit der
Ernährung zu tun.
Wohl jedem von uns fallen Regionen seines Körpers
ein, die verbesserungswürdig wären – warum arbeitet
die Natur nicht daran, dass kommende Generationen gesünder, schlauer
und schöner werden?
Weil wir sie nicht lassen. Meinen Studenten sage ich immer: »Schaut
euch eure Banknachbarn an. Zwei von dreien werden an Krankheiten sterben,
die genetisch bedingt sind: Herzkrankheiten, Diabetes, Krebs!«
Ein hoffnungsvoller Studienbeginn…
Ich sage dann ja auch: »Hätte ich diese Vorlesung
zu Shakespeares Zeiten gehalten, wären zwei von dreien schon tot.« Damals
starben viele Kinder an Infektionen oder Hunger. Nur wer widerstandsfähig
war, überlebte und verbreitete seine Gene. Das ist heute anders.
99 Prozent der Menschen werden so alt, dass sie sich fortpflanzen können,
es gibt es keine natürliche Selektion mehr. Zudem unterscheiden
sich die Menschen kaum noch in ihrem Fortpflanzungserfolg. Fast jeder
hat zwei Kinder.
Aber es gibt doch Menschen, die viele Kinder haben – und
viele, die keines haben.
Früher waren die Unterschiede viel größer. Frauen
können im Leben nicht mehr als 20 Kinder bekommen, aber Männer
können theoretisch Tausende haben. Sultan Moulay Ismael von Marokko
hatte im 19. Jahrhundert 500 Frauen und 888 Kinder. So einen Fall gibt
es heute nicht mehr.
Die Männer verhindern durch Treue, dass der
Mensch sich weiterentwickelt?
Sie
müssen nicht unbedingt treu sein, heute gibt es ja
Verhütungsmittel. Aber Männer beeinflussen in der Tat die
Entwicklung des Menschen stärker als Frauen. Im Westen werden
sie allerdings heutzutage zu früh Vater, um die Evolution nach
vorne zu bringen.
Männer gründen ihre Familien doch immer
später!
Das
mag sein, aber mit dem Kinderzeugen sind sie früh
fertig. Die meisten Männer im Westen reproduzieren zwischen 28
und 35. Früher haben sie so lange Nachwuchs gezeugt, wie sie noch
einen hoch bekamen.
Was
hat das Alter der Väter
mit der Evolution zu tun?
Wir
wissen, dass fast alle Mutationen, die an die Kinder weitergegeben
werden,
von den Vätern kommen. Männer und Frauen stellen
ihre Geschlechtszellen unterschiedlich her. Frauen produzieren ihre
Eizellen, bevor sie geboren werden. Es sind nur 20 Zellteilungen von
der befruchteten Eizelle aus der die Frau hervorgeht bis zu ihren eigenen
Eizellen. Männer produzieren dagegen ihr ganzes Leben lang Sperma.
Bei 28-Jährigen liegen mehrere hundert Zellteilungen zwischen
der Zelle, aus der der Mann hervorgegangen ist und seinen Spermien.
Bei einem 65-Jährigen sind es bereits 2000 bis 3000.
Und
das verursacht Mutationen?
Ja,
bei jeder Zellteilung wird die Erbsubstanz kopiert, dabei entstehen
Fehler.
Viele Menschen glauben, dass Mutationen vor allem
durch Chemikalien und Strahlung entstehen. Aber das stimmt nicht. 1945
nach dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima schickten die Amerikaner
ein Team von Genetikern nach Japan. Man erwartete, dass bei den Kindern
der Opfer viele neue Mutationen auftauchen würden. Nach 50 Jahren
fanden die Wissenschaftler durchschnittlich 30 neue Mutationen pro
Nachkommen. Man verglich das mit Kindern, deren Eltern keiner erhöhten
Strahlung ausgesetzt waren: Bei denen gab es aber genauso viele Mutationen – und
alle waren vom Vater gekommen.
Ein
Kind bekommt mehr Mutationen ab, wenn es einen alten Vater hat, als
wenn die Eltern verstrahlt worden sind?
Ja,
die Mutationsrate schießt um so mehr in die Höhe,
je älter ein Vater ist. Dagegen kann man alle anderen Faktoren
vernachlässigen, auch Radioaktivität und Chemikalien. Es
ist erstaunlich, wie viele Leute glauben, dass die Menschheit wegen
dem westlichen Lebensstil dem Untergang geweiht sei. Aber das ist Unfug.
Immer
wieder wird behauptet, die Zähne der
Menschheit würden schlechter, weil so viele Menschen sich von
weichem Fast-Food ernähren – ist diese These auch falsch?
Unsinn wäre zu glauben: Die Leute essen nur Hamburger,
entwickeln schlechte Zähne – und deshalb erben ihre Kinder
ein mangelhaftes Gebiss. Das wäre ein falsches Verständnis
von Evolution. Vergleicht man aber unseren Kiefer mit dem von Schimpansen,
sieht man, dass er durch Mutationen stark verkümmert ist. Das
hat damit zu tun, dass wir unsere Speisen kochen und Schimpansen nicht.
Es kostete den Körper viel Energie, Muskeln und Zähne im
Kiefer herzustellen. Wenn man sie nicht braucht, rationalisiert die
Evolution sie weg.
Also gibt es doch eine Evolution – aber nur
zum Schlechteren hin?
Früher starben Menschen mit einem mangelhaften Gebiss früh
und bekamen weniger Kinder. Heute überleben sie und geben ihre
Gene weiter. Solange aber alle Menschen gleich viele Kinder haben und
diese alle überleben, werden sich schlechte Zähne nicht ausbreiten
können – selbst wenn wir alle nur noch Hamburger äßen.
Könnte eine tödliche Epidemie die Evolution
wieder in Gang setzen?
Die Natur hält hässliche Dinge für uns bereit,
und am wahrscheinlichsten ist eine Grippeepidemie, die in Asien ausbricht.
Wer mehr Abwehrkräfte hat, würde überleben:
Die Evolution käme wieder in Fahrt.
Ich sage nicht: Die Evolution steht für immer still. Aber
es lohnt sich, darüber nachzudenken, dass eine Epidemie wie die
Spanische Grippe, die 1918 mehr Menschen umgebracht hat als der Erste
Weltkrieg, sich nicht wiederholt hat. Wir sind gut darin geworden,
unser Gehirn zu benutzen, um das zu verhindern. Im Fall einer globalen
Influenzaepidemie würde in der westlichen Welt wahrscheinlich
das Gleiche passieren wie bei HIV. Dieses Virus bedroht unsere Gesellschaft
nicht, weil wir uns anders verhalten und neue Medikamente haben.
Wenn die Evolution des Menschen stillsteht, wäre
dann ein Szenario wie in »Der Planet der Affen« denkbar – Orang-Utans,
Gorillas und Schimpansen überholen uns und regieren die Welt?
In 50 Jahren wird es Menschenaffen nur noch in Zoos geben, weil
ihr Lebensraum zerstört sein wird. Aber auch falls die Menschenaffen überleben
würden: Nein.
Was macht Sie da so sicher?
Menschenaffen haben sich in eine andere Richtung entwickelt,
sie sind perfekt angepasst – aber an ein komplett anderes Leben
als wir. Nur eine Spezies, die eine ähnliche Kultur entwickeln
könnte, wäre konkurrenzfähig. Die gibt es aber nicht.
Was unterscheidet uns so stark von allen anderen
Lebewesen?
Vergleicht man unsere DNA mit der unserer nächsten Verwandten,
der Schimpansen, sieht man, dass sich diese schneller entwickelt haben.
Säße heute ein Steinzeitmensch neben mir in der U-Bahn,
würde ich es nicht merken. Vielleicht würde er grunzen, aber
das tun heute auch viele.
Aber wir haben uns doch schon ein bisschen weiterentwickelt
seit der Steinzeit.
Natürlich, aber die Menschheit hat sich auch schon zu jener
Zeit eine Umwelt konstruiert, die sie zum Teil vor der Evolution schützte.
Menschen benutzten Werkzeuge, betrieben Landwirtschaft, bauten Hütten.
Schon unsere Urahnen schützten sich so vor Hunger und Kälte.
Die Menschheit hat sich kulturell entwickelt anstatt
durch Evolution?
Absolut. Warum bleiben so viele Kinder am Leben, warum können
sich alle fortpflanzen? Weil wir das so entscheiden! Nehmen wir das
Beispiel der Erbkrankheit Hämophilie. Noch vor wenigen Jahrzehnten
war die Chance, dass Bluter selbst Kinder bekamen, gering. Meistens
verbluteten sie, bevor sie erwachsen waren. Heute kann man den fehlenden
Blutfaktor ersetzen, die Erkrankten überleben und bekommen selbst
Kinder. Biologisch ist das Unsinn.
Werden Erbkrankheiten wie Hämophilie häufiger
werden?
Das Gen wird häufiger werden, sehr langsam, einfach deswegen,
weil es selten ist. Aber das ist nicht schlimm, wir können die
Krankheit ja gut behandeln.
Das heißt, wir müssen mit Erbkrankheiten
leben?
Nehmen wir an, in Ihrer Familie kommt die Mukoviszidose vor.
Sie wollen Vater werden und haben Angst, dass Ihr Kind krank sein würde.
Der beste Rat, den ich Ihnen geben kann, ist: Heiraten Sie eine Nigerianerin!
Bitte?
Ein Kind bekommt die Krankheit nur dann, wenn es zwei kranke
Gene erbt, eines von seinem Vater und eines von seiner Mutter. In Schwarzafrika
kommt Mukoviszidose aber gar nicht vor – also könnte Ihr
Kind nicht daran erkranken. Für eine Nigerianerin wären Sie
auch eine gute Partie. In Afrika ist vererbbare Sichelzellenanämie
verbreitet, die wiederum in Europa nicht vorkommt.
Glauben Sie im Ernst, Menschen suchen sich ihren
Partner aus, weil sie denken, mit ihm gesunde Kinder zu zeugen?
Das weiß ich nicht. Aber die gleiche Hautfarbe zu haben
ist inzwischen weniger wichtig für die Partnerwahl als zum Beispiel
eine ähnliche Bildung. Ich sehe das täglich in London, und
diese Partnerschaften werden die Gesellschaft gesünder machen.
Schön, das von Ihnen zu hören. Biologen
lieferten einst Argumente für Rassismus.
Das Problem war: Als die Rassenlehre entstand, wusste man nichts.
Daher würde ich sie auch nicht Wissenschaft nennen. Damals dachten
viele, die Rassen müssten sehr unterschiedlich sein. Heute wissen
wir, dass das nicht stimmt. Isländer und Aborigines unterscheiden
sich weniger als zwei Schimpansengruppen, die 50 Kilometer voneinander
entfernt leben.
Wieso sehen wir dann so verschieden aus?
Wir unterscheiden uns in der Hautfarbe zwar mehr als andere
Säugetierarten. Aber ansonsten sind wir weitgehend gleich. In
den Sechzigern arbeitete ich in einem Labor, das Blutproteine untersuchte.
Die Leute waren überrascht, dass es zwischen Afrikanern und Europäern
kaum Unterschiede gab.
Das war die Zeit, als Martin Luther King den Rassismus
anprangerte. Welche Reaktionen gab es auf diese Erkenntnisse?
Nicht alle Weißen hörten sie gern. Andererseits gab
es junge Linke, ich war einer davon, die sagten: Wunderbar, das beweist,
dass Rassismus falsch ist. Aber schon damals begann ich zu zweifeln.
Daran, dass Rassismus ein Fehler sei?
Nein, aber ich dachte mir: Was passiert, wenn wir eines Tages
herausfinden, dass es doch einen Unterschied zwischen Afrikanern und
Europäern gibt? Heißt das dann, dass Rassismus richtig ist?
Und tatsächlich hat man dank Gensequenzierung festgestellt, dass
es zwei Gruppen von Menschen gibt: die Afrikaner und alle anderen.
Was schließen Sie daraus?
Dass Wissenschaft und Politik nichts miteinander zu tun haben.
Ob Antirassisten Afrikaner lieben oder Rassisten sie hassen – beide
werden bleiben, was sie sind, egal, was Forscher sagen. In ein paar
Jahrzehnten wird Rassismus aber wohl absolut irrelevant sein.
Es gab allerdings eine Zeit in der Politik, in der
sich viele auf das Recht des Stärkeren berufen haben, den Sozialdarwinismus…
Die Darwinitis war eine sehr infektiöse Krankheit damals.
Hitler hat Darwin zwar nie erwähnt, aber er war ein absoluter
Sozialdarwinist. Karl Marx war auch ein Anhänger. Er schrieb: »Es
ist bemerkenswert, dass Darwin in der Natur die Wirkung von bourgeoisen
Gesellschaften sieht.« Jeder fand bei Darwin, was er wollte.
Wie kann das Fressen und Gefressenwerden der Natur
als Blaupause für den Kommunismus gedient haben?
Kommunisten rühmten zum Beispiel den Bienenstock als Vorbild
für unsere Gesellschaft, weil die Tiere so schön kooperieren.
Für die Sozialdarwinisten waren die Ameisenstaaten vorbildlich,
weil man sie als kriegerische Gesellschaften ansah. In Wirklichkeit
leben Ameisen und Bienen sehr ähnlich. Es ist einfach sinnlos,
Erkenntnisse aus der Biologie auf die Gesellschaft anzuwenden.
Werden wir eines Tages unsere eigene Evolution machen,
indem wir durch Gentechnik unser Erbgut verändern?
Das ist Science-Fiction. Tatsache ist: Menschen wurden noch
nicht gentechnisch manipuliert, außer bei wenigen sehr seltenen
Krankheiten. Die Idee, dass wir dank Gentechnik etwa intelligente Kinder
bekommen könnten, ist Quatsch. Wer das will, muss in ihre Bildung
investieren. Außerdem glaube ich an die heilende Kraft der Lust.
Was
meinen Sie damit?
Die
Menschen haben gerne Sex. Um Kinder genetisch zu verändern,
müssten wir Eizellen im Reagenzglas befruchten und manipulieren.
Diese müssten dann in die Gebärmutter einpflanzt werden.
Das macht doch alles keinen Spaß. Am Ende werden die Ingenieure
verlieren und der Sex wird gewinnen. |