»Ich
will dieses Virus erledigen«
Frankfurter
Rundschau 29.06.07
HIV-Entdecker
Robert Gallo über seinen Kampf gegen Aids, gut gekleidete Verschwörungstheoretiker
und seine erste Autopsie als jugendlicher Hobbypathologe
Mr.
Gallo, Sie sind einer der Entdecker des Aids-Virus, seit 23 Jahren
bekämpfen Sie es. Ist HIV Ihr größter Feind?
Ja, das kann man so sagen.
Was fühlen Sie, wenn Sie eine Abbildung des HI-Virus sehen?
Ich empfinde dabei nichts. Wir wissen, wie HIV aussieht, das Virus hat nichts
Faszinierendes mehr für mich. Dieses Virus ist einfach ein Problem, also
will ich es erledigen will. Das ist alles.
Es ist ein sehr großes Problem. Jedes Jahr sterben weltweit drei
Millionen Menschen an Aids.
Ja, es ist verheerend. Das sind so viele Tote wie durch den Tsunami 2004 - jeden
Monat.
Selbst in einer Industrienation wie Deutschland steigen die HIV-Infektionsraten
wieder an. Wie erklären Sie sich das?
Es ist eine gewisse Sorglosigkeit eingekehrt. Warum Weil die Therapien besser
geworden sind. Die Leute kennen Menschen, die HIV-positiv sind und die ein normales
Leben führen. Also denken sie: HIV ist nicht so schlimm - und schützen
sich nicht. Da sind Sie als Medien gefragt: Sie sollten mehr berichten über
Aids.
Vor 23 Jahren haben Sie HIV als Ursache von Aids identifiziert: Haben
Sie es damals für möglich gehalten, dass das Virus mehr als zwei
Jahrzehnte später noch so viele Opfer fordern würde?
Wir wussten damals schon, dass retrovirale Infektionen lebenslange Infektionen
sind. Mir war klar, dass es ein globales Problem werden würde und dass
es eine lange Zeit dauern würde, bis wir die Krankheit in den Griff bekommen
würden. Ich dachte allerdings, dass wir eher eine Impfung haben würden.
Warum ist es so schwierig, einen Impfstoff gegen HIV zu entwickeln?
Das Virus integriert seine Gene in die Erbsubstanz des Menschen, und dann ist
es dort nicht mehr weg zu bekommen. Eine Impfung müsste also verhindern,
das auch nur ein einziges Virus in eine Körperzelle eindringt. Das ist
eine enorme Herausforderung, der wir bislang noch nicht gewachsen sind.
Glauben Sie, dass Sie eine wirksame Impfung gegen HIV noch erleben werden?
Ich habe die vergangenen zehn Jahre hart daran gearbeitet, also muss ich daran
glauben. Sonst könnte ich meine Arbeit nicht mehr machen.
In
Ihrer Eröffnungsrede für den Deutsch-Österreichischen
Aids-Kongress, der gerade in Frankfurt stattfindet, haben Sie kritisiert,
dass die Grundlagenforschung
in Gefahr ist.Wie
meinen Sie das?
Ich
habe das Gefühl, dass sie aus der öffentlichen Wahrnehmung
verschwindet, dass in Vergessenheit gerät, dass alles, was wir
heute gegen HIV in der Hand haben, aus dem Labor kommt. Neulich habe
ich eine Sendung auf CNN gesehen,
die war angekündigtals ein "Zusammentreffen der weltführenden
Aids-Bekämpfer". Da saßen Entertainer, Schauspieler, aber
kein einziger Wissenschaftler. Am Ende der Sendung sagten alle: "Wir
müssen
zusammenstehen gegen Aids." Was soll das bedeuten? Ganz gleich, wie gut
wir uns fühlen, wie sozial wir sind: Es wird das Problem nicht lösen.
Prominente sorgen für erhöhte Aufmerksamkeit, und mit Aufklärungskampagnen
muss dafür gesorgt werden, dass es möglichst wenig Neuinfektionen
gibt.
Das sind sehr wichtige Projekte - aber es darf auf keinen Fall bei der Grundlagenforschung
gespart werden, um in soziale Projekte zu investieren. Wir brauchen immer
neue Medikamente, denn HIV entwickelt schnell Resistenzen. Und um das Virus
ein
für
alle Mal auszumerzen, brauchen wir eine vorbeugende Impfung. Das ist der
einzige Weg.
60 Prozent aller HIV-Infizierten leben in Afrika. Wie könnte deren
Lage verbessert werden?
Was die Therapie angeht, gibt es vielversprechende Initiativen. Mein Institut
hat zum Beispiel ein großes Projekt in Nigeria. Letztes Jahr haben
wir dort kostenlos 45 000 HIV-Infizierte behandelt, dieses Jahr werden es
100
000 sein.
Sie haben sich vor zwei Jahren noch kritisch darüber geäußert,
den afrikanischen Staaten kostenlos Aids-Medikamente zur Verfügung
zu stellen. Woher rührt Ihr Sinneswandel?
Es muss sichergestellt sein, dass die richtigen Medikamente für die richtige
Region verwendet werden, Therapien müssen gut überwacht werden. Sonst
entstehen resistente Viren, damit wäre niemandem geholfen. Bei unserem
Projekt legen wir nicht Medikamente an den Strand und verdrücken uns dann.
Wir sind vor Ort, wir schulen Wissenschaftler, Ärzte, medizinisches Personal
und Patienten. Wir sind beeindruckt, wie viel die Menschen schon gelernt haben.
Finanziert wird all das von der US-Regierung. Wir machen große Fortschritte,
seit Präsident Bush 2003 seinen Notfallplan für Aids-Hilfe gestartet
hat.
Diese Hilfe wird nicht nur positiv gesehen. In Uganda hat sich unter
dem Einfluss der Bush-Regierung das Programm zur Aids-Prävention gewandelt.
Statt zum Gebrauch von Kondomen wird jetzt zu Abstinenz und Treue aufgerufen.
Ist das
nicht fahrlässig?
Niemand schreibt Uganda vor, welche Politik es machen soll. Bush steht nicht
da draußen und sagt: Ihr sollt keine Kondome benutzen.
Die USA verteilen das Geld...
Mein Institut hat zwei Abteilungen in Afrika. Deren Leiter haben jeweils
eine enorme Summe bekommen, um dort gegen HIV zu kämpfen: Der eine 160
Millionen, der andere 60 Millionen Dollar. Das ist die großzügigste
Förderung,
von der ich je gehört habe. Ich arbeite nicht für Bush, ich wähle
ihn nicht, aber Realität ist Realität. Offensichtlich tut dieser
US-Präsident
mehr als jeder seiner Vorgänger - und auch mehr als jeder europäische
Staatsmann. Wenn man im Glashaus sitzt, sollte man nicht mit Steinen werfen.
15 Milliarden Dollar! Kommen vergleichbare Summen aus Europa?
Sicher nicht. Aber ist es eine richtige Strategie, auf Abstinenz zu
setzen?
Man muss sich die afrikanischen Kulturen anschauen. Die Regierungen
wollen sich eben nicht hinstellen und sagen: Habt alle Sex miteinander,
nur benutzt ein
Kondom. Das Prinzip, das in Afrika propagiert wird, heißt: Sei abstinent,
sei treu - und wenn nicht, dann benutze ein Kondom. Das mag altmodisch sein,
aber es ist nicht schlecht, schon gar nicht aus wissenschaftlicher Sicht.
Aber das hindert Europa nicht daran, mehr Geld in Kondome zu investieren.
In Afrika ist die Ansicht noch weit verbreitet, HIV sei gar nicht
die Ursache für Aids.
Aber es gibt Hoffnung. In Südafrika haben wir zum ersten Mal einen Rückgang
der Neuinfektionen. Und das hängt damit zusammen, dass dort Erziehungsprogramme
gestartet wurden.
Der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki hat im Jahr 2000
mehrere Aids-Dissidenten, also jene Wissenschaftler, die den Zusammenhang
zwischen HIV und Aids leugnen, zur Welt-Aids-Konferenz in Durban eingeladen.
Damals bin ich zum ersten Mal nicht zu dem Kongress gekommen, obwohl
ich als Redner geladen war. Ich war sehr unglücklich wegen dieser Situation, frustriert,
wütend, dass Menschen unnötig sterben müssen, weil diese Leute
den Kampf gegen das Virus verzögern. Das war eine Tragödie. Man kann
nicht mehr rückgängig machen, was damals passiert ist, aber für
Gegenwart und Zukunft ist dieses Problem aus der Welt geschafft. Südafrika
handelt, die Menschen bekommen Medikamente. Ich könnte einige Leute öffentlich
kritisieren für Fehler in der Vergangenheit, aber ich denke: Jetzt, wo
die meisten Regierungen auf dem richtigen Weg sind, wäre das ein Fehler.
Sie sollen bloß auf diesem Weg bleiben.
Die Aids-Dissidenten bringen sich seit der Entdeckung des HI-Virus
immer wieder ins Gespräch und überzeugen auch Mediziner, die
dann auf dieser Grundlage zu therapieren versuchen...
Warum das so ist, diese Frage kann nur von den Kollegen aus der Psychiatrie
beantwortet werden. Die Faktenlage ist seit mehr als 20 Jahren eindeutig.
Es kursieren auch viele Verschwörungstheorien über die
Entstehung des HI-Virus. Was machen Sie, wenn Sie damit konfrontiert
werden?
Nichts mehr. Eine der Lektionen meines Lebens ist: Man kann den Irrationalen
nicht mit rationalen Argumenten kommen. Es ist zwar unnatürlich, auf Unsinn
nicht zu reagieren, aber es ist besser. Ich erinnere mich an einen Abend bei
der Aids-Konferenz in Genf 1998. Ich saß mit Aktivisten der Schwulenbewegung
zusammen, etwa 800 Menschen waren im Saal. Alles lief gut. Dann stand ein Mann
mit einem perfekten Anzug auf. Er hatte so einen Blick drauf: "Sie und
ich - wir wissen doch Bescheid." Und dann brachte er dort seine absurde
Geschichte vor.
Welche Theorie hatte er zur Entstehung von HIV?
Er behauptete, HIV sei in US-amerikanischen Labors gezüchtet worden. Er
fragte mich: "Stimmt es nicht, dass Sie Henry Kissinger getroffen haben " "Doch",
sagte ich. Mit ihm gemeinsam bin ich einmal Michael Gorbatschow vorgestellt
worden, da war Kissinger gar nicht mehr in der Regierung. Wow, und er leitete
daraus ab, ich hätte für Kissinger gearbeitet. Dann fragte er: "Haben
Sie nicht an vielen Viren gearbeitet " Ich sagte: "Mit einigen, ja." Und
dann beschuldigte er mich, alle diese Viren zusammengemischt zu haben - und
so HIV geschaffen zu haben.
Wie haben Sie reagiert?
Ich war kurz davor zu fragen, ob er verrückt sei. Ich sagte: "Ganz
abgesehen davon, dass ich nicht wüsste, wozu das jemand gemacht haben sollte,
steht fest: Die Gen-Sequenzen von diesen Viren haben nichts mit HIV zu tun.
Man kann nicht eine Maus in eine Giraffe verwandeln. Und es gab doch verwandte
Viren bei Affen." Aber das war ihm alles egal. Da habe ich gemerkt: Es
ist vollkommen sinnlos, mit solchen Leuten zu diskutieren. Zum Glück
haben ihm auch sonst kaum Menschen geglaubt.
Mr. Gallo, lassen Sie uns einen Blick zurückwerfen auf die Zeit,
in der noch nicht klar war, was Aids verursacht. Es gab nicht viele,
die an ein Virus glaubten Anfang der 80er Jahre.
Stimmt. Noch 1984 gab es eine Veröffentlichung von einer Arbeitsgruppe
aus dem National Institute of Health, der gleichen Einrichtung, an der ich damals
arbeitete, in der ein Pilz als Ursache von Aids genannt wurde. Die Welt veränderte
sich drei Monate später, als meine Arbeitsgruppe gleichzeitig fünf
Arbeiten zu HIV veröffentlichte, keinen Tag vorher.
Die Arbeitsgruppe von Luc Montagnier vom Institut Pasteur in Paris hatte
doch schon 1983 das Virus entdeckt.
Die Franzosen isolierten es aus einem einzigen Patienten mit vergrößerten
Lymphknoten - und bewiesen damit nicht, dass es der Verursacher von Aids
ist. Meine Mitarbeiter und ich haben diesen Beweis 1984 erbracht. Und
wir lieferten
gleich den Bluttest mit, um auf der ganzen Welt weitere Ansteckungen zu verhindern.
Wen würden Sie als Entdecker von HIV bezeichnen?
Montagnier und ich sagen, dass wir beide dazu beigetragen haben.
Warum gab es dann jahrelang Streit zwischen Ihnen, der vom französischen
Premierminister Jacques Chirac und von US-Präsident Ronald Reagan beigelegt
werden musste?
Es gab nie einen Streit darum, wer das Virus zuerst entdeckt hat, das
ist ein Medienmärchen. Das Problem kam, als mir das Patent für den Bluttest
zugesprochen wurde. Die Franzosen wollten daran beteiligt werden. Ich hatte
auch nichts dagegen. Ich habe zu meinen Chefs gesagt: "Nehmt mir diesen
Affen von meinem Rücken." Aber sie sagten: "Die Franzosen werden
sich bald wieder beruhigen." Als dann der Ärger kam, stand ich
alleine da.
Sie galten dann lange Zeit als der böse Bube der Wissenschaft,
der anderen Forschern ihre Ergebnisse stiehlt.
Ich bekam es von allen Seiten ab - auch von meinen Landsleuten. Die
New Yorker Anwälte, die die Franzosen vertraten, fühlten sich finanziell benachteiligt
nach der Einigung von Chirac und Reagan. Also engagierten sie PR-Leute, die
mich als Betrüger darstellten.
Hat Sie das belastet?
Ich habe die besten fünf Jahre meines produktiven Lebens verloren. Und
die HIV-Forschung hat dadurch auch einige Jahre verloren. Jeden Tag gab es Anschuldigungen.
Mein gesamter Schriftverkehr wurde untersucht. Eine abschließende Untersuchung
ergab, dass nichts, aber auch gar nichts an den Vorwürfen dran war.
Ohne diese Querelen hätten Sie und Luc Montagnier wohl schon
den Nobelpreis bekommen.
Ich habe genug gewonnen in meinem Leben. Und: Ich bin noch nicht tot.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Montagnier heute?
So wie das zu Ihnen.
Also nicht gerade eng.
Wir kennen uns natürlich viel besser und telefonieren etwa einmal im Monat.
Er kommt auch ab und zu zu Meetings und hat sogar ein Büro in unserem
Institut. Wir haben unterschiedliche Charaktere und unterschiedliche Interessen,
aber
wir verstehen uns.
Wie sind Sie zur medizinischen Forschung gekommen?
Meine einzige Schwester hatte Leukämie. Ich war 13 damals, ich war viel
in Krankenhäusern, ich sah Ärzte und Forscher in einem sehr prägenden
Alter. Meine Schwester starb mit sechs Jahren an Leukämie. Ich saß an
ihrem Bett, das war der prägendste Augenblick in meinem Leben. Vielleicht
hätte ich das nicht sehen sollen, aber ich habe es gesehen. Ein anderer
Einfluss war ein Pathologe in meiner Heimatstadt. Er war befreundet mit meinem
Vater. Ich besuchte ihn oft im Krankenhaus. Eines Tages ließ er mich
eine Autopsie machen.
Sie führten als Kind eine Autopsie durch?
Ich war 19. Er ließ mich mit dem Skalpell und der Leiche alleine und sagte: "Hey,
du machst das." Das war eine besondere Erfahrung.
Ist Ihnen dabei nicht schlecht geworden?
Nein, aber es war fürchterlich - und dazu illegal. Ich werde diese Szene
nie vergessen. Eigentlich hätte mich diese Erfahrung davon abhalten müssen,
Medizin zu studieren. Aber ich habe es trotzdem getan. Und hier sitze ich.
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