»Das war eine hormonelle Geschichte«
Frankfurter Rundschau MAGAZIN 20.08.05
Die Schauspielerin Heike Makatsch über Männer in Leopardenhosen, zügellose Marktwirtschaft und ihre Jugend als Punkerin.

Heike Makatsch, in Ihrem neuen Film „Almost Heaven“ wollen Sie, wie schon in Ihrem ersten Film Männerpension“, Sängerin werden. Ist das wirklich ein Wunsch von Ihnen?

Nein, Musik ist zwar eine große Liebe von mir, aber es ist nicht so, dass Musikalität aus mir herausquillen würde. Könnte ich wirklich singen und komponieren, wäre ich natürlich gerne Singersongwriterin geworden.

Welches Lied hätten Sie gerne geschrieben?

Irgendeines von den Beatles.

Welches?


Es gibt so viele, da kann ich mir nicht eines aussuchen. Das geht wirklich nicht, das wäre ein Fehler. „Obladi Oblada“, das hätte ich nicht gerne geschrieben.

Haben Sie im Schulchor gesungen?

Nein, nie. Mit meinem Vater habe ich gesungen, er hat dazu Gitarre gespielt: Bob Dylan.

Zu Ihrer Schulzeit gab es die große Zweiteilung auf dem Schulhof in Popper und Punker. Was waren Sie?

Wenn dann eher Punk. Wir hörten eine Mischung aus Mod und Punk. The Who, The Jam und die Undertones. Ich sah nicht aus wie Sid Vicious, aber ein paar meiner Freunde.

Sie haben den Punk gelebt?

Na ja, wir hatten die Musik und ein paar Bierflaschen im Schrank. Wir sind auf Konzerte gefahren, hinten auf dem Motorroller bei den Jungs, aus dem knatternden Kassettenrekorder kam The Who und ich hatte den Minirock meiner Mutter an. Ich war kein Punk, aber wenn Sie mich fragen, in welche Richtung es ging, Popper oder Punk, dann eher letzteres.

Wer waren Ihre Helden?

Mein Held war immer John Lennon, ich war ein bisschen rückwärts orientiert, was die Musik angeht. Ich fand die führenden Figuren in der Musik in den vorangegangenen Jahrzehnten aussagekräftiger.

Haben Sie nicht auch einmal für Axl Rose von Guns'n Roses geschwärmt?

Ja, aber das war eher eine hormonelle Geschichte.

Ich habe nie so ganz verstanden, was an Axl Rose so toll sein soll, so ein aufgedunsener Kerl.

Nein, nein, nicht 1989. 1986 bis 1989 war er Junkie und da war er noch echt dünn. Mein damaliger Freund sah aus wie Axl Rose. Er hatte die gleichen Leopardenhosen an.

Sie haben ihn daraufhin ausgesucht?

Es musste schon noch ein bisschen mehr gewesen sein. Aber es stand dem bestimmt nicht im Wege, ihn attraktiv zu finden.

Sie selbst waren auch mal ein Teenie-Idol, dem viele Mädchen nachgeeifert haben. Wie sind Sie mit der Rolle umgegangen?

Verantwortung habe ich in erster Linie für mich empfunden, wenn Sie das meinen. Daraus resultierte, dass ich mir um etwaige Fans nicht allzu viele Sorgen gemacht habe.

Sie standen für Jugendlichkeit, als sie anfingen - und 10 Jahre später schreiben Sie eine Kolumne für das Magazin „NEON“, das den Untertitel trägt „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“. Sie sind mittlerweile 34. Warum haben Sie das Gefühl, noch nicht erwachsen zu sein?

Ach, klar bin ich erwachsen.

In dem deutschen Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ gibt es eine Szene, in der ein 68er über das Erwachsenwerden sagt, irgendwann wähle man eben die CDU. Gilt das auch für Sie?

Nein. Wenn die Konservativen an die Regierung kommen, dann brechen düstere Zeiten an. Ich glaube, dann wird das Tier wirklich von der Leine gelassen.

Welches Tier?

Das der freien Marktwirtschaft, die außer Rand und Band letztendlich alle Schwächeren am Wegesrand liegen lässt.

Immerhin wäre Angela Merkel die erste Kanzlerin.

Ja, aber das Geschlecht ist für mich kein Grund, jemanden positiv oder negativ zu bewerten. Der Kanzler oder die Kanzlerin muss Politik für die ganze Gesellschaft machen. Um Fragen der Gleichberechtigung sollen sich Frauenbeauftragte kümmern.

Die haben noch nicht besonders viel erreicht. 50 Prozent aller Uni-Absolventen sind Frauen, aber nur 13 Prozent der Professoren, weibliche Angestellte verdienen im Schnitt 30 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.

Ich weiß nicht, ob sich Gleichstellung nur darin wiederspiegelt. Ich bin da noch unentschlossen. Aber natürlich sollten einer Frau die Wege genauso offen stehen wie einem Mann mit gleichen Fähigkeiten, klar. Dafür sollte man sich wahrscheinlich stark machen, ja.

Wenn man sich zum Beispiel den Musiksender Viva, Ihren ehemaligen Arbeitgeber, anschaut, kann man den Eindruck gewinnen, dass sich das Frauenbild in den letzten Jahren stark verändert hat. Als Sie dort vor 12 Jahren als Moderatorin anfingen, galten Sie als frech und eigenständig. Die heutigen Moderatorinnen sind weniger dafür bekannt, dass sie einen eigenen Kopf haben, als dafür, dass sie sich ausziehen.

Ja? Also, ich weiß gar nicht so. Es gibt doch Charlotte Roche und Jessica Schwarz, die haben immer ganz eloquent ihre Meinung gesagt.

Beide sind nicht mehr bei Viva.

Ich glaube aber trotzdem nicht, dass sich die Frauen geändert haben. Viva hat sich geändert. Die setzen jetzt wirklich auf Austauschbarkeit, komplett.

Und dazwischen läuft das Musikvideo von Annett Lousian, sie räkelt sich im Bett und singt: „Ich will doch nur spielen“, harmlos ist das alles.

Eine klare Tendenz kann ich da nicht sehen. Ich finde das so was von an den Haaren herbeigezogen. Es gibt ja auch andere Bands wie „Wir sind Helden“, die eine starke junge Frontfrau haben. Natürlich gibt es ein paar Mädels, die auf süß machen, aber die gab's auch schon immer.

Sie haben acht Jahre in London gelebt. Sind englische Frauen emanzipierter als deutsche?

Zunächst mal bedeutet in London zu leben nicht automatisch, in England zu leben. In den Vororten sieht es wahrscheinlich schon ganz anders aus. Aber London ist nicht diskriminierend, was Geschlecht oder Hautfarbe angeht. Es geht nur ums Funktionieren, die beste Arbeit machen, größte Kreativität an den Tag legen, das ist das Einzige, was zählt. Das ist ein hartes Pflaster. Du kannst schwarz sein, du kannst Frau sein, wenn du es am besten machst von allen, dann, denke ich, dass du in London durchkommst. Die Frauen sind oft absolute fashion-victims, die sich mit den fünf Königinnen der Stadt messen. Sie laufen als kleine Klone durch die Welt und pressen sich in Riemchenschuhe, die an Models gut aussehen, aber an ihnen halt nicht.

Sie haben sich da ein bisschen rausgehalten?


Ja, bevor es zu spät war.

Wie meinen Sie das?

Ich musste schnell da weg, um nicht noch in diesen Sog zu geraten.

Das ist der wahre Grund, warum Sie London verlassen haben?

Das war ein Witz jetzt. Ich musste da nicht mitmachen. Ich war ja Gast, ich habe da ja nie gearbeitet. Und insofern war ich da immer nur die, die vorbeikam, um - ja - ein bisschen Hausfrau zu sein.

Sie sind aus Deutschland weggezogen, als es noch boomte. Seit Anfang des Jahres wohnen Sie in Berlin. Wie war es, in das kriselnde Deutschland zurückzukehren?


London ist ein bunter Energietopf, alles scheint zu blühen. Jetzt nach den Anschlägen stehen natürlich andere Sachen im Vordergrund, aber für mich war London die polierteste Dienstleistungsstadt, die ich kenne. Das ist wie eine funkelnde Lobby. Und dann geht man in die Zimmer und die sind eher schäbig. Die haben riesige Prozentsätze von Kindern, die unter der Armutsgrenze aufwachsen. Ich bin mir nicht sicher, dass England den richtigen Kurs einschlägt. Aber Deutschland wirkt gegen London auf den ersten Blick schon ein bisschen ärmer.

Wo sieht man den Unterschied?

Wenn ich zum Beispiel in London für den Abend Gäste eingeladen hatte und ein Huhn in den Ofen schieben wollte, bin ich in einen Supermarkt gegangen. Da waren dann zwei Meter Kühltheken für Mini-Hühner, dann zwei Meter Medium-Huhn, dann zwei Meter lang Large-Huhn, dann kam X-Large-Huhn. Das waren Bilderbuch-Hühner, alle super-saftig mit fetten Schenkeln, aber mit unterschiedlichen Größen, Mutationen wahrscheinlich. Du kommst da hin und sagst, heute habe ich so und so viele Leute, da nehme ich dann halt ein Fünf-Kilo-Huhn. Und dann kam ich nach Deutschland und bin zu Kaiser's gegangen und habe gesagt, ich hätte gerne ein Huhn für heute Abend. Da haben die ein Suppenhuhn hochgehalten, wo die Füße noch dranhingen und ein paar Federn. Ein gakeliges altes Suppenhuhn, „das einzige, was wir haben“, ja, das ist für mich der Unterschied. Aber irgendwie ist das ja auch gut. Diese Mutantenhühner haben einem Angst eingejagt. Man wusste: Gut kann das nicht sein.

Sie mögen das ehrliche, karge Deutschland?

Ja, schon.

Gibt es etwas an Ihnen, was Sie als typisch deutsch bezeichnen würden?

Ich mache meine Arbeit mit Hingabe und ich kann mich nicht erinnern, dass ich mal was verpennt habe oder wirklich zu spät gekommen bin. Wenn das typisch deutsch ist, dann ja.

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