Das nette Scheusal
Frankfurter Rundschau MAGAZIN
Lemmy Kilmister von Motörhead wird heute 62: Warum er Weihnachten im Casino zockt

Der Weg zum härtesten Rocker führt durch einen schmalen Gang hinter der Bühne der alten Stuttgarter Messehalle, vergilbte Wände, 70er Jahre Trostlosigkeit. Ich werde Lemmy treffen, Sänger und Bassist von Motörhead, der lautesten Band der Welt (New York Times). Die Koteletten habe ich mir lang wachsen lassen, um von ihm, dem "Scheusal, dem Warzengesicht des Rock'n'Roll" (SZ-Magazin), ernst genommen zu werden. Wird er so böse sein, wie seine Musik? Lemmy sitzt in einem winzigen Backstage-Raum ohne Fenster, der Aschenbecher ist voll. Vor ihm auf dem Tisch steht ein Plastikbecher mit Whiskey-Cola und ein blinkender Spielautomat. Offensichtlich hat er gerade gewonnen, im Ausgabefach und davor liegen circa 30 Ein-Euro-Münzen. Er blickt auf, gibt mir die Hand und deutet mürrisch auf den niedrigen Sessel neben dem Spielautomaten. Das hektische Blinken direkt neben unseren Gesichtern scheint ihn zu nerven, er greift nach dem Stecker, will ihn aus der Steckdose ziehen. Seine Hände zittern stark, aber er schafft es. Lemmy wird an Heiligabend 62 Jahre alt.

Lemmy, was ist Ihr liebstes Weihnachtslied?

Das einzige, das ich je mochte, war "Run Rudoph Run" von Chuck Berry - und das ist noch nicht mal ein richtiges Weihnachtslied.

Haben Sie einen Christbaum?

Warum? Nachher muss man nur den verdammten Teppich saugen, das ist Zeitverschwendung. Außerdem lebe ich in L.A. - und dort scheint immer die Sonne. Das lädt nicht gerade dazu ein, Weihnachten zu feiern. Dieses Jahr werde ich mich in Las Vegas verstecken.

Sie feiern weder Weihnachten noch Ihren Geburtstag?

Genau - man hat mir jedes Jahr eine Überraschungsparty geschmissen, das war dann irgendwann keine Überraschung mehr. Jetzt gehe ich zocken, das macht mehr Spaß.

Ein Party-Tier wie Sie hatte noch keine anständige Geburtstagsfeier?

Doch, vor ein paar Jahren in Vegas, als Metallica auf die Bühne gekommen sind, alle verkleidet als Lemmy, das war wirklich mal eine Überraschung. Aber sie hatten das Tattoo auf dem falschen Arm.
(Lemmy zeigt auf die Tätowierung auf seinem linken Unterarm und lacht laut. Sonst knurrt er seine Antworten unter seinem Schnauzbart heraus - freundlich!)

Waren Sie je in der Kirche an Weihnachten?

Nein, Religion ist Blödsinn. Gott und der Teufel können mich beide mal, ich bin verantwortlich für mein Leben und sonst niemand.

Gibt es etwas in Ihrem Leben, das Sie bereuen?

Nein, dafür wäre es auch jetzt zu spät. Man kann nicht sein ganzes Leben lang Fehler bedauern. Dann würde man den Rest seines Lebens verpassen. Wenn du Scheiße baust, solltest du das nicht noch einmal machen. Aber deswegen musst du nichts bedauern.

Was war die beste Lektion, die Sie gelernt haben?

Ich habe verdammte 60 Jahre lang gelernt. Eine gute Lektion war auf jeden Fall zu lernen, dass kämpfen dumm ist. Ich war in der Schule der einzige englische Junge unter 700 Walisern. Egal, wie viele ich geschlagen habe, es kamen immer noch zehnmal so viele. Also hörte ich auf damit.

Wie viele Frauen hatten Sie?

Viele. Ich habe nie geheiratet, hatte also nie frei und war immer auf der Suche. Lange Zeit hatte ich jede Woche eine andere. Auch in dieser Hinsicht habe ich Glück gehabt. Durch die Musik bin ich an Frauen rangekommen, sonst wäre es schwierig für mich gewesen. Ich bin kein großer Redner.

Und Sie haben nie Ihr Herz verschenkt?

Doch, natürlich. Aber es kam immer in zwei Stücken zurück. Ich glaube an die Idee von Liebe. Nur ist sie leider nicht dauerhaft, man kann sie nicht festhalten.

40 Jahre Sex, Drogen und Rock'n'Roll - werden Sie das nie leid?


Es gibt verschiedene Kleinigkeiten, die man satt hat, die langen Busfahrten zum Beispiel. Aber das ist nichts gegen eine Arbeit, die einen wirklich fertig macht.

Wie geht es Ihren Ohren?

Die sind in Ordnung. Der Körper gewöhnt sich an alles.

Woran merken Sie, dass Sie älter werden?

Ich sah früher besser aus, also habe ich mehr herumgevögelt. Und heute bin ich schneller gelangweilt. Die Partys sind immer gleich, das nervt. Ich bin besser dran, wenn ich heimgehe.

Wie viele Whiskey hatten Sie heute schon?

Einen doppelten. Und Sie?

Gar keinen.


Möchten Sie einen?

(Jetzt nur keine Schwäche zeigen!)
Gerne.

(Lemmy steht auf, geht zum Kühlschrank, holt eine Flasche Jack Daniels. Er nimmt zwei Plastikbecher, stülpt sie ineinander, und schenkt ein.)
Das ist eine der Lektionen, die ich gelernt habe. Immer zwei Becher benutzen. Wenn der eine kaputt geht, läuft einem die Brühe auf die Hose. Das sieht dann aus, als ob man sich in die Hose gepisst hätte. Cola?

Ja, danke. Wie viele Zigaretten haben Sie heute geraucht?

Ich weiß nicht, genug. Cheers.

Was sagt Ihr Arzt zu Ihrem Lebensstil?

Ich habe einen Check machen lassen vor zwei Jahren, und der Arzt sagte, meine Leber ist die eines Neugeborenen.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Was macht es für einen Sinn, sich vor etwas zu fürchten, das unvermeidlich ist. Zigarette?

Ja, danke. Was kommt nach dem Tod?

Ich weiß nicht, das finde ich raus, wenn ich gestorben bin - und dann wieder aufwache.


Die Zeit ist abgelaufen, Lemmy wünscht mir alles Gute. Ich verlasse die Halle mit einem Whiskey in der Hand. Lemmy ist das freundlichste Scheusal der Welt.

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