»Er macht Witze«
Frankfurter Rundschau 23.07.07
Sängerin Judith Holofernes über ihr Treffen mit dem Dalai Lama, die Suche nach dem Glück und ihren Respekt vor Roland Koch

Teil 1 Teil 2

Frau Holofernes, Sie gehörten zu den wenigen Menschen, die sich beim Deutschlandbesuch des Dalai Lama mit ihm unterhalten konnten. Wie war's?

Sehr bewegend und sehr aufregend, wobei er eine Ausstrahlung hat, die einen alle Nervosität schnell vergessen lässt. Er hat mir zum Abschied einen weißen Schal geschenkt.

Was werden Sie damit machen?

Weil wir noch auf Tour sind, wird er sehr gut verpackt, denn ein Tourbus ist kein guter Platz für einen weißen Schal. Zuhause kommt er zu meinem Buddha ins Wohnzimmer.

Was ist so faszinierend am Dalai Lama?

Er lebt die Werte, von denen er spricht. Er verkörpert das reine Mit-gefühl. Mit der Ehrerbietung, die ihm entgegengebracht wird, geht er sehr humorvoll um. Er nimmt das zwar mit liebevoller Aufmerksamkeit entgegen, aber er macht alles, um das Steife und Ängstliche herauszu-nehmen, er macht Witze, er winkt ins Publikum, während über etwas Ernstes geredet wird, lacht vor sich hin. Ich habe gehört, dass er bei seinen Auftritten in Indien gar nicht so witzig und heiter gewesen sein soll wie im Westen.

Da haben die Deutschen ja Glück.


Vielleicht ist das in Indien nicht so nötig, die Leute sind mit seinen Ideen viel vertrauter.

Eine Umfrage hat ergeben, dass sich viele Deutsche vom Dalai Lama konkrete Ratschläge für ihr Leben erhoffen - Sie auch?

Ich habe vom Dalai Lama schon sehr viele konkrete Anweisungen bekommen, indem ich Bücher von ihm gelesen habe. Ich glaube, die Leute erhoffen sich das zu Recht, weil er seine Lehren sehr alltagsnah vermittelt.

Was haben Sie von ihm gelernt?

Es ist sehr ermutigend, von ihm gesagt zu bekommen, dass er meine Arbeit für wichtig hält. Und dass Künstler ethische Ideen transportieren sollen. Die Sätze waren wie eine Kraftspritze für mich.

Sie treten mit dem Dalai Lama auf, Richard Gere, Uma Thurman und Roland Koch tun es auch. Ist es einfach eine gute PR-Aktion mit ihm zusammen gesehen zu werden?


Für mich trifft das nicht zu. Ich würde das auch niemandem unterstellen. Der Dalai Lama berührt viele Menschen, ungeachtet ihrer politischen Ausrichtung. Mit Roland Koch habe ich in politischer Hinsicht sonst vielleicht nicht viel gemeinsam. Aber er ist einer von wenigen Politikern, die immer wieder darauf drängen, dass der Dalai Lama offiziell in Deutschland empfangen wird - obwohl das immer heftige diplomatische Probleme mit China nach sich zieht. In Deutschland wird jeder, der versucht, etwas Gutes zu tun, sei es in Bezug auf Tibet, die Umwelt oder eine humane Globalisierung mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er sich eigentlich nur selbst profilieren möchte.

Auch Sie und Ihre Band "Wir sind Helden" sehen sich häufig dem "Gutmenschen"-Vorwurf ausgesetzt.


Ja, wir müssen in Interviews ständig beweisen, dass wir unser Engage-ment ernst meinen. Dabei werden Dinge, die uns wichtig sind, wie zum Beispiel achtsamer Konsum oder das Engagement gegen den G8-Gipfel, ständig hinterfragt. Das ist sehr ermüdend.

Auf dem Podium haben Sie den Dalai Lama konkret zum Umgang mit den Medien befragt.

Er ist bei dem Thema gut im Training, er kann auch in der Bild-Zeitung sprechen, ohne sich korrumpieren zu lassen, ich weiß aber sehr genau, dass ich das nicht kann. Er hat mir jedenfalls geantwortet, dass er die Medien als sehr freundliches Organ wahrnimmt. Im Grunde geht mir das auch so, aber für mich gibt es neben vielen erfreulichen Gesprächen auch immer schwierige Momente. Da war es schön, vom Dalai Lama einen unterstützenden Impuls zu bekommen.

Was hat der Dalai Lama, was Sie nicht haben?

Er geht ganz und gar in seiner Lehre auf. Was er erzählt, geht alle Menschen an. Im Prinzip ist der Unterschied der, dass ich noch mit Künstler-Ego und was weiß ich was rumlaufe. Das macht es schwieriger.

Was meinen Sie, warum ist der Dalai Lama bei den Deutschen, besonders bei den jungen, beliebter als der Papst?

Der Dalai Lama ist im Gegensatz zur katholischen Kirche sehr integrativ - er spricht nicht von Religion, sondern von allgemeingültigen Werten, die es genauso im Christentum gibt. Buddhismus ist streng genommen keine Religion, sondern eine Philosophie, eine Art und Weise, wie man versucht sein Leben zu leben. Man muss nicht irgendwo eintreten, um Buddhismus für sich auszuprobieren. Das macht es einfach, sich dem zu nähern.

Ist Buddhismus nicht einfach cooler als das Christentum?

Man kann das so formulieren, aber das ist auch keine Antwort auf die Frage, warum der Buddhismus so beliebt ist bei jungen Leuten. Der Dalai Lama sagt übrigens, dass man Spiritualität und Erfüllung zuerst in der Religion seines Kulturkreises suchen sollte, weil die einem in der Regel näher steht.

Sie haben es anders gemacht und haben sich dem Buddhismus zugewendet. Warum?

Ich bin nicht christlich erzogen worden. Ich bin über die Philosophie zur Religion gekommen. Als Kind habe ich nächtelang wach gelegen und mich gefragt, was passiert, wenn meine Eltern sterben und ich selbst, ich habe über die Vergänglichkeit gegrübelt und über die Unendlichkeit des Universums. Und so habe mich auf Glückssuche begeben. Als Teenager habe ich mich sehr für Philosophie interessiert. Irgendwann ist mir klar geworden: Mit der Gehirnakrobatik allein kann es nicht getan sein, da fehlt etwas. Die Verbindung von Herz und Geist habe ich im Buddhismus gefunden. Manche Dinge muss man nicht verstehen. Es reicht, wenn man sie in Meditationen einfach erlebt.

Zum Beispiel?

Eines der Kernanliegen des Dalai Lama ist eine neue Ethik für das neue Millennium - eine Ethik des Verzichts. Das hört sich abschreckend an. Aber wenn man sich in Meditation übt, macht man die Erfahrung, dass es nichts Beglückenderes gibt, als loszulassen.

Klingt etwas floskelhaft.

Ist es aber nicht. Wir alle versuchen doch ständig, unser Ego zu füttern, es wachsen zu lassen und zu schützen. Wer meditiert erfährt, wie angenehm es ist, wenn das Ego mal eben die Klappe hält. Der Grundgedanke ist, dass es glücklicher macht, zu geben als zu nehmen.

Praktizieren Sie das?

Ich versuche das tatsächlich - und es funktioniert. Mich macht es zum Beispiel glücklicher, Geschenke zu besorgen als für mich selbst etwas zu kaufen.

Das würde eine gute Christin wohl auch sagen. Es gibt aber auch eklatante Unterschiede zwischen den Religionen, zum Beispiel was die Erlösung angeht. Der Himmel auf der einen Seite, das Nichtswerden im Nirwana auf der anderen. Ist das für Sie nicht beängstigend?

Die Sehnsucht nach Auflösung ist tatsächlich wesentlicher Bestandteil der Lehre. Natürlich habe ich Angst, mich aufzulösen. Das Ego möchte das nicht - wahrscheinlich ist das selbst noch für sehr weit fortgeschrittene Buddhisten beängstigend. Es ist aber hilfreich, wenn man bei Auflösung an ein Aufgehen im Ganzen, an tiefen Frieden und Stille denkt, an Erlösung. Nicht an Vernichtung. Der Buddhismus hat mit Nihilismus nichts gemein.

Sie empfehlen eine Lightversion des Buddhismus?

Bestimmt nicht. Bei dem Kongress ging es darum, mit dem anzufangen, was man im Alltag ausprobieren kann. Da kann man auch ohne große Meditations-Erfahrung oder einen religiösen Hintergrund kraftvolle Veränderungen spüren - alleine durch eine ethische Grundausrichtung und die Aufmerksamkeit auf den eigenen Geist.

Können Sie das erklären?

Ich schaue mir beim Denken zu - und bekomme ein bisschen Distanz zu den Dingen, die mir sonst so wahnsinnig wichtig erscheinen. Das hat dann zur Folge, dass ich mit viel größerer Ruhe in den Alltag gehe.

Der Buddhismus hat für sie eher Wohlfühl-Charakter?


Im Sinne von Einssein und in Frieden leben, ja. Aber alle Religionen haben diese Funktion, wenn man sie richtig praktiziert, wenn man ihre Kernwerte lebt.

Welche sind das für Sie?


Mich hat im Buddhismus besonders die Achtsamkeitspraxis weiterge-bracht: Wenn mir heute eine Laus über die Leber läuft, sehe ich sie laufen. Ich merke sofort, dass ich mich ärgere und nicht erst drei Stunden später, wenn ich meinen Ärger 1000fach in der Stadt verbreitet habe. Ich lasse mir nicht mehr so leicht den Tag vermiesen.

Und wie schaffen Sie es, dass die Suche nach dem Glück nicht zum Egotrip wird?

Der Buddhismus setzt beim Einzelnen an. Aber wenn man so praktiziert, geht man mit seinem Umfeld besser um - und das tut dem natürlich gut. Und wenn viele Menschen sich in Mitgefühl und Weisheit üben, kann das sogar globale Auswirkungen haben.

All you need is love?

Mitgefühl leben heißt im Bewusstsein zu handeln, dass alles, was wir tun, Auswirkungen auf das Ganze hat. Es ist beglückend, wenn man das praktiziert. Je mehr ich meditiere, desto besser schaffe ich das im Alltag.

Wie oft meditieren Sie?


Im Moment komme ich nicht viel zum Meditieren. Sobald ich auf dem Kissen sitze, kippe ich vornüber und schlafe ein, weil ich wegen meines Babys nachts nicht zum Schlafen komme. Ich merke aber, dass mir die Meditation fehlt, dass ich manchmal reizbar oder nervöser bin.

Wird Ihr Sohn auch Buddhist?


Das kann er sich später selbst aussuchen.

Wie werden Sie ihm den Tod erklären?

Ich würde versuchen, ihm zu erklären, dass die Menschen verschieden darüber denken, was nach dem Tod mit einem Menschen passiert.
Hört sich kompliziert an für ein Kind - Christen haben es einfacher, die können zum Beispiel sagen: Opa ist jetzt im Himmel.
Ich finde die Art, wie ihm Buddhismus mit dem Tod umgegangen wird, sehr einsichtig. Denn das Karma der Verstorbenen, also die Früchte dessen, was sie so zu ihren Lebzeiten getan haben, bleiben danach in der Welt. Das Bild, dass der Verstorbene noch bei einem ist und man ihn in seinem Herzen trägt, ist sehr schön und passend. Deshalb erzählen es viele Eltern auf der ganzen Welt ihren Kindern, egal welche Religion oder Philosophie sie leben.

Glauben Sie an Wiedergeburt?

Ich kann es sowieso nicht überprüfen, denn ich habe es nicht erlebt - zumindest kann ich mich nicht daran erinnern (lacht). Ich hatte am Anfang Probleme mit der Idee. Aber alles was ich überprüfen konnte, hat sich für mich bewährt. Also denke ich: wer weiß, mal sehen. Das Konzept der Wiedergeburt eines festen Persönlichkeitskerns in einer Art neuen Hülle ist aber sowieso nicht buddhistisch, sondern hinduistisch.

Können Sie sich wirklich vorstellen, dass Ihnen mit dem Dalai Lama ein Wiedergeborener gegenübergesessen hat?


Wie gesagt: Seit ich mit dem Buddhismus beschäftige, bin ich immer offener geworden, hinsichtlich Dingen, die ich erst mal nicht nachvollziehen kann. Mir ist bewusst geworden, dass der menschliche Geist sehr beschränkt ist, so wie wir ihn benutzen. Aber vielleicht gilt diese Beschränkung nicht für jeden. Für mich ist dieser Aspekt aber unwichtig. Ein Heiliger ist für mich einer, der ganz und gar heil ist, der ein heilsames Leben führt.

Waren Sie schon mal in Tibet?


Nein. Ich würde wahnsinnig gerne nach Tibet fahren. Aber ich bin ein bisschen ängstlich wegen der drastischen Warnungen, was die Höhenluft angeht, weil ich ja Asthmatikerin bin. Tibet bleibt ein Traumziel, aber vielleicht fange ich mit Thailand und Vietnam an.

Würden Sie mit Ihrer Band "Wir sind Helden" auf einem Konzert für ein freies Tibet spielen?


Wir engagieren uns als Band gerne für Tibet. Obwohl wir ja nicht alle Buddhisten sind, weswegen Pola und ich auch bisher eher zurückhaltend damit umgegangen sind. Man kennt das ja: Auf einmal wird man als Buddhistenband gehandelt.

Dann müssten Sie sich auf der Bühne etwas anderes anziehen.

Genau, wallende Kleider in Orange und Dunkelrot (lacht). Aber das Engagement für ein freies Tibet ist uns aus menschenrechtlichen Gründen allen ein Anliegen. Und deswegen haben wir auch mit der "International Campaign for Tibet" zusammengearbeitet. Die hatten bisher Stände auf unseren Konzerten und haben dort Unterschriften gesammelt.

Sie haben jetzt einige Konzerte gespielt, seitdem Sie Mutter geworden sind. Wie läuft die Tour mit einem acht Monate alten Kind?

Erstaunlich gut. Für uns Eltern ist es natürlich anstrengend, weil unser Biorhythmus im Moment nicht besonders gut dazu passt, nachts um halb eins bei "Rock am Ring" auf der Bühne zu stehen. Im Moment gehen wir normalerweise spätestens dann schlafen.

Heißt das, ihr Sohn schläft hinter der Bühne, während ihnen Tausende zujubeln?

Friedrich ist im Hotel oder im Tourbus, den haben wir ein bisschen umgebaut. Es gibt jetzt ein abschließbares Eltern-Kind-Abteil mit einem großen Bett für uns Eltern und einem Baby-Bett. Das funktioniert verblüffend gut. Wir haben einen Babyroadie dabei, das machen abwechselnd zwei Freundinnen von uns. Die Konzerte sind ja zum Glück meistens abends, davon merkt er meistens gar nichts. Und dann kommt es vor, dass wir voller Adrenalin in den Tourbus schleichen, total aufgeputscht vom Konzert - und wir uns zwingen müssen, nicht zu kichern, um das Baby nicht zu wecken. Das sind Welten, die aufeinanderprallen, aber es hat auch was Lustiges.

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