Vergängliche Schönheit
Frankfurter Rundschau 13.06.07
Alle reden vom Klimawandel, doch wie sieht er aus? Arved Fuchs macht seit 30 Jahren Expeditionen in die Arktis und sagt: „ Die Folgen begegnen mir dort überall.“
Ein Gespräch.

Teil 1 Teil 2

Herr Fuchs, was ist Ihr Rekord im Nichtduschen?

70 Tage.

Das wissen Sie ja sehr genau.

Ja, das war während der Grönland-Durchquerung 1993. Das war die längste Zeitspanne, in der ich mich nicht waschen konnte.

Wie hält man das aus?

Wir hatten ein paar Unterhosen zum Wechseln dabei. Aber wir haben uns
wirklich auf eine Dusche gefreut.

Sie erleben immer wieder Extremsituationen. Bei Ihrer letzten Expedition in der Arktis wären Ihre Schlittenhunde beinahe von Wölfen gefressen worden.

Ja, wir waren noch im Basislager, als auf einmal sieben Wölfe wenige Meter entfernt standen. Uns Menschen gegenüber waren sie nicht aggressiv, aber die Hunde waren für sie Nahrungskonkurrenten. Deshalb wollten die Wölfe unsere Hunde töten. Sie wussten ja nicht, dass wir genügend Futter dabei hatten.

Wie ist das ausgegangen?

Wir haben sie mit der Peitsche auf Distanz gehalten, uns haben sie ja nicht attackiert. Aber die ganze Nacht musste einer von uns aufbleiben - bei 40 Grad minus - und Wache halten. Wir sind die Wölfe erst los geworden, als wir nach ein paar Tagen ihr Revier verlassen haben.

Was treibt Sie immer wieder in die Wildnis?

Ich bin kein Masochist, und ich suche auch nicht die Gefahr. In der Arktis herrscht ein anderer Lebensrhythmus als in den Industrieländern - den mag ich. Es gibt dort keine Fremdgeräusche. Man riecht anders, man hört anders, man sieht anders. Man kommt auf den Boden, fernab jeglicher Ablenkung und Hektik.

Es gibt weniger gefährliche Wege der Selbstfindung, als zum Nordpol zu
laufen.


Auf der Autobahn ist es auch gefährlich. Aber klar, man muss selbstverständlich aufpassen, die Polarregion verzeiht keine Fehler. Es gibt immer wieder schwere Stürme, unterwegs zum Nordpol muss man über extrem dünnes Eis gehen. Man weiß bei 50 Grad unter null, hier darf ich jetzt nicht durchbrechen. Das Wasser mag zwar relativ warm sein...

Warm?

Das Wasser selbst ist ja nur minus zwei Grad Celsius.

Nicht gerade Badewasser-Temperatur...

Nein, aber im Vergleich zu minus 50 Grad Außentemperatur, ist das mild. Die Gefahr ist: Wenn man raus kommt, gefriert die feuchte Kleidung direkt zu einem Panzer - und man selbst darin leicht mit.

Was ist Ihr Lieblingsplatz auf der Erde?

Ich bin gerne in Landschaften, die unberührt sind, die abgenabelt sind von dem, was wir unter Zivilisation verstehen. Ein Ort, der mich immer wieder fesselt, ist die ostgrönländische Fjordlandschaft. Aus dem Wasser erhebt sich das Gebirge, 2000 Meter hoch. Davor schwimmen riesige Eisberge. Wenn sich die Sonnenstrahlen darin brechen, schimmern sie in verschiedenen Farben. Grandios. Ein Eisberg ist ein Juwel.

Verliert die Erde durch den Klimawandel ihre größten Schätze?

Ja, wir sind im Moment dabei, einen Großteil regelrecht zu verspielen - und damit wird unser aller Leben ärmer.

Früher waren Sie ein Draufgänger, inzwischen halten Sie Vorträge über den Klimawandel. Ist aus Abenteuerlust eine Mission geworden?

Ich bin 54, mich interessiert heute etwas anderes als mit 24. Ich muss mir heute nicht mehr beweisen, dass ich Skilaufen oder Segeln kann. Ich habe das große Glück gehabt, rund 30 Jahre in dieser Region unterwegs sein zu können und Großes zu erleben. Die Landschaft, die ich dort gesehen habe, liegt mir am Herzen. Ich kann nicht nach Hause kommen und nur schöne Bilder von schönen Reisen zeigen. Der Klimawandel bedroht den arktischen Lebensraum massiv.

Mancher Bewohner der Region freut sich vielleicht, wenn es ein bisschen
wärmer wird.


Wenn man vor ein paar Jahren mit Inuit zusammen gesessen hat und über globale Erwärmung gesprochen hat, haben die tatsächlich zum Fenster aufs Thermometer gedeutet, das minus 40 Grad angezeigt hat: "Wenn es nur noch minus 30 Grad sind", sagten sie, "dann ist es uns immer noch kalt genug." So redet man heute nicht mehr. Mittlerweile haben die Leute begriffen, dass es im Winter noch 30 Grad kalt wird, im Sommer aber dafür so heiß, dass mehr Eis taut, als im Winter nachwachsen kann. Ein anderes Beispiel. Mein Freund Lary in Grise Fjord konnte im letzten Winter nicht mit den Hunden über den Jones Sound fahren, weil das Eis zu brüchig war.

Es gibt auch Anrainer des Nordmeeres, die in der Klimaerwärmung eine Chance sehen. Wenn Schiffe über den Nordpol fahren könnten, würde das auch ein Wirtschaftswachstum in der Region bringen.


Das ist ein sehr strittiges Thema: Eine Fraktion sagt: "Wir brauchen einen großen Hafen in der Region. Wirtschaftliche Entwicklung ist der Garant für den Erhalt unserer Kultur." Die anderen sagen, das sei der Untergang ihrer Kultur, die Identität bestehe gerade im Erhalt der Naturlandschaften. Und die sind definitiv gefährdet, durch die Klimaerwärmung.

Haben Sie Auswirkungen des Klimawandels beobachtet?

Überall, wo ich hinkomme. Als ich zum Beispiel 1993 in Barrow, einem kleinen Ort an der Nordküste Alaskas, war, schien die Welt dort noch in Ordnung zu sein. 2003 kam ich wieder, und von der Küste waren große Teile abgebrochen, Häuser mussten verlagert werden.

Was hat das mit dem Klimawandel zu tun?

Der Boden dort war immer gefroren, auch im Sommer taute er nur wenige Zentimeter auf. Das war ein festes Fundament, wo man seit Hunderten von Jahren Siedlungen drauf gebaut hat, auch unmittelbar an der Küste. Jetzt taut der Boden auf und rutscht ab. Hinzu kommt, dass das Meer jetzt eisfrei ist. Dadurch baut sich Seegang auf, und der schlägt jetzt gegen das Ufer. Das öffnet der Erosion Tür und Tor. Für die Menschen dort ist es schon längst nicht mehr die Frage, ob es den Klimawandel vielleicht geben könnte. Für Menschen, die ihre Häuser verlassen mussten, ist er bittere Wirklichkeit.

Was ist Ihnen noch aufgefallen?

Auf der sibirischen Seite habe ich mit einem Tschuktschen gesprochen. Ich habe ihn gefragt, ob er eine Veränderung festgestellt hat. Und er sagt: "Wir fangen jetzt Fische, für die gibt es in unserer Sprache keinen Namen - und die Fische, die wir früher gefangen haben, kommen nicht mehr."

Was tun Sie persönlich gegen die Erderwärmung?

Ich bin auch kein besserer Mensch. Ich bin darauf angewiesen, Auto zu fahren, ich fliege hin und wieder. Ich versuche das zu reduzieren. Aber es ist nicht damit getan, dass jeder sagt: "Ich achte darauf, dass ich abends den Fernseher komplett ausschalte, statt ihn auf Stand-By-Funktion zu lassen." Das ist ein kleiner Schritt, den jeder leisten kann. Aber wir müssen wirklich in größeren Dimensionen denken. Es kann nicht sein, dass man ein Braunkohlekraftwerk baut, das den höchsten Wirkungsgrad aller Braunkohlekraftwerke hat - das ist dann immer noch eine CO2-Schleuder. Wir brauchen umweltfreundliche Technologien.

Benutzen Sie Energiesparlampen?

Ich habe Energiesparlampen im Büro gerade installiert, ich habe sie zu Hause teilweise auch.

Herr Fuchs, Sie haben ein Camp für Jugendliche im nordnorwegischen
Spitzbergen organisiert. Warum dort?


Wir wünschen uns, dass auch Jugendliche sensibilisiert werden für die
Bedrohung des arktischen Lebensraumes. Sie gehen mit uns raus, um die Natur zu begreifen, im wahrsten Sinne des Wortes. Was ist ein Gletscher? Wie stellt sich die Landschaft dar? Damit werden wir nicht die Welt auf den Kopf stellen, aber wir leisten unseren Beitrag.

Hilft Ihnen der Hype um den Eisbären Knut in Ihrer Lobbyarbeit für den
Norden?


Er ist Sympathieträger par excellence, ich hoffe, dass er die Menschen für das Schicksal der wild lebenden Eisbären sensibilisiert. Derzeit schrumpft der Bestand um jährlich zehn Prozent, die Bären verhungern, sie fressen sich gegenseitig, sie ertrinken - eben weil es weniger Eis gibt. Sie können zwar 100 Kilometer, aber keine 200 Kilometer schwimmen. Ich habe so ein bisschen Probleme mit dem Walt-Disney-Teddybären-Image von Knut, das ist ein Raubtier, das überhaupt nicht kuschelig ist.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Eisbären gemacht?

Am Anfang meiner Karriere, als ich alleine unterwegs war, bin ich einmal nachts wach geworden. Ein Eisbär stapfte um mein Zelt. Gott sei Dank hat er dann am Fußende mit ein paar Prankenhieben das Zelt abgebaut.

Gott sei Dank?

Wenn er am Kopfende angefangen hätte, hätte ich schlechtere Chancen gehabt, die Attacke zu überleben. Ich habe den Bären dann durch einen Schuss in die Luft vertreiben können. Das war aber weder spannend noch grandios, ich hatte schlichtweg Angst. Die Vorstellung, dass man für so einen Bären nichts anderes ist, als eine potenzielle Mahlzeit, ist sehr ernüchternd.

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