»Das
macht mich wütend«
Frankfurter
Rundschau 12.11.07
Ärzte-Sänger Farin Urlaub über seine Erlebnisse auf einer halbjährigen
Indien-Reise
Teil 1 Teil
2 Farin
Urlaub, Sie sind ein halbes Jahr durch Indien gereist. Werden wir auf
dem nächsten Album der Ärzte Sitarklänge hören?
Klar, noch ein paar Tablas dazu und nur noch mixolydische Skalen. Nein, im Ernst:
Ich habe zwar komponiert unterwegs. Aber das mache ich, egal wo ich bin - und
heraus kommt immer Rockmusik, etwas anderes kann ich nicht.
Warum fotografieren Sie unterwegs?
Weil ein Bild tatsächlich mehr sagt als tausend Worte - und ich liebe Dia-Abende!
Wie kommt es, dass Sie als Musiker einen so aufwändigen Fotoband herauszubringen
Selbst renommierte Fotografen haben Probleme, einen Verlag zu finden.
Ich nehme an, daß dem Verlag meine Bilder gefallen.
Und warum wollten Sie gerade nach Indien?
Es fängt an mit den intensiven Gerüchen, diese Geschäftigkeit,
die Men-schen, die Natur. Aus allem sprudelt unbändiges Leben, und im krassen
Gegensatz dazu findet man auch Ruhe und Spiritualität.
Nach Spirituellem suchen in Indien viele. Haben Sie die Erleuchtung gefunden?
Ich habe sie nicht gesucht. Auf Goa gibt es Massenmeditations- und Yogakurse.
Die Leute, die diese Kurse besuchen, können sicherlich nach Hause fahren
und sagen: Ich habe in Indien Gott gesehen. Es gibt mit Sicherheit auch ernsthafte
Yogi und Leute, die dort die Erleuchtung finden, aber ich bin daran nicht interessiert.
Ich bin nicht spirituell oder religiös, mich interessiert eher die Religion
anderer.
Sie beschreiben in Ihrem Buch das Treffen mit einem Heiligen.
Ich habe mehrere Menschen kennen gelernt, die sich als Heilige bezeichnet haben
- ohne, dass ich mich darüber lustig machen möchte. Es wäre sehr
arrogant, zu sagen: Diese Hinterwäldler glauben an so einen Unfug, darum
geht es mir nicht. Ich versuche einfach, das Land so zu beschreiben, wie ich
es selbst erlebt habe. Da sind dann auch ein paar interessantere Varianten von
menschlichem Glauben dabei.
Was kann man sich darunter vorstellen?
Beim Aufstieg zum Berg Shatrunjaya, einer der wichtigsten Pilgerstätten
der Jains, einer kleineren indischen Glaubensgruppe, traf ich einen weißgekleideten
Mann Anfang 20. Er erzählte mir, dass sich ein Jain aus Achtung vor dem
Leben ausschließlich vegetarisch ernährt. Doch während seine
Glaubensbrüder Mundschutze trugen, um nicht versehentlich Insekten zu verschlucken
und jede Stufe vor sich mit einem Besen abkehrten, um kein Lebewesen zu zertreten,
ging er unbeschwert den Berg hinauf. Er sei ein Heiliger, sagte er. Ein Blick
von ihm reiche aus, selbst kleinste Insekten in Sicherheit zu bringen.
Das muss Sie als Vegetarier stark beeindruckt haben.
Ich bin ja ein Schwein - ich bin Pesci-Vegetarier, esse also Fisch.
Warum Fisch und keine anderen Tiere?
Die anderen Tiere nicht, weil ich denke: muss ja nicht sein, bei alldem Leid
und Unheil für Tiere und Menschen, das da dran hängt. Ich habe auch
mal versucht, auf Fisch zu verzichten. Meine Freunde haben mich nach einem Monat
gebeten, doch bitte wieder anzufangen - ich hatte wirklich schlechte Laune.
Ich wäre gerne ein perfekter Mensch, aber ich kriege das nicht hin. Umso
mehr bewundere ich die Disziplin der Jains. Der Heilige erzählte mir, er
sei innerhalb von zwei Tagen siebenmal auf den Felsen gestiegen - ohne etwas
zu trinken.
Und Sie hatten keine Lust mitzumachen?
Nein, mir war es schon anstrengend genug, einmal da hoch zu gehen. Aber ich
war dann in einer großen Gruppe von Pilgern unterwegs. Die haben sich
wohl gesagt: Da ist ein Typ, der gehört hier nicht her, den nehmen wir
jetzt mal an die Hand. Als wir dann im Tempel waren, war da eine Stimmung wie
bei einem Volksfest. Ich habe die Gläubigen beob-achtet, wie sie ihre fröhlichen
Gebete gesungen haben - und dabei im Laufschritt durch die Tempelanlage gejoggt
sind. Vor dem Hauptaltar haben sie sich dann dreimal nieder geworfen, geklatscht
und dann ging es von vorne los. Irgendwann haben sie zu mir gesagt: So, du machst
jetzt mit. Ich wollte kein Spielverderber sein - Junge, Junge, die sind fit.
Im Rennen oder im Singen?
Im Rennen und gleichzeitig Singen. Ich war vollkommen außer Atem. Außerdem
konnte ich mir den Text einfach nicht merken, obwohl der nur aus 20 Silben bestand.
Die Jungs haben mir dann ein Liederbuch unter die Nase gehalten - in Hindi.
Ich konnte natürlich nichts lesen. Das fanden die extrem seltsam: so groß und
eine Kamera besitzen - da müsste ich doch einen Rest Bildung haben. Aber
das haben sie mir extrem nett und respektvoll beigebracht.
Wie haben die Menschen reagiert, wenn Sie die fotografiert haben? Haben sie
Geld verlangt?
Im Gegenteil: gerade in Indien ist es für die meisten Menschen ein Fest,
fotografiert zu werden; ab und zu musste ich eine volle Speicherkarte vortäuschen,
sonst wäre ich heute noch dort.
Fühlten Sie sich manchmal wie ein Elendsvoyeur?
Das ist - mit Verlaub - eine dumme Frage. Jeder halbwegs informierte Europäer
sollte wissen, dass der größte Teil der Menschheit in Elend und
Armut lebt - was nützt es, davor die Augen zu verschließen? Wem
täte
man damit einen Gefallen? Im Gegenteil: Ich würde mir wünschen, dass
dieses Thema viel offener in unserer Gesellschaft thematisiert würde,
um vielleicht mal eine gründliche Ursachenforschung zu betreiben, bei
der man dann eventuell darauf käme, dass es uns auch deshalb so gut geht,
weil Menschen in anderen Ländern ausgebeutet werden.
Sie zeigen in Ihrem Buch ein rückständiges Indien, dabei hat
sich das Land doch in den letzten Jahren zu einem Hochtechnologie-Standort
gewandelt. Warum blenden Sie das aus?
Das moderne, das Computer-Indien, das gibt es natürlich, aber das sind
kleine Enklaven. Selbst optimistische Schätzungen gehen davon aus, dass
noch 70 Prozent der Inder in der Landwirtschaft tätig sind. Die leben von
der Hand in den Mund und das passt natürlich nicht ins Bild des High-Tech-Landes,
das die indische Regierung gerne verbreitet. Aber riesige Büro-Komplexe,
die aussehen wie überall auf der Welt, finde ich auch nicht spannend. Mich
interessiert eher das ursprüngliche Indien - und das Buch dokumentiert
ja einfach meine Reise.
Sind Sie ein Sozialromantiker?
So romantisch ist das nicht, wie die einfachen Menschen leben müssen. Gerade
auf dem Land sind viele sehr arm. Es gibt Gegenden, in denen es eine unglaublich
hohe Selbstmordrate gibt. Die Böden sind ausgelaugt und übersalzen,
zeitweise ist zu wenig Wasser da, dann regnet es extrem viel, die Nährstoffe
werden aus dem Boden gespült. Und dann gibt es zum Beispiel eine Agrarfirma
Namens Monsanto, die gentechnisch veränderte Pflanzen auf den Markt bringt.
Die bringen zwar guten Ertrag, aus ihnen lässt sich aber kein Saatgut gewinnen.
Das muss man immer wieder nachkaufen. Die ganze Misere hat viele Bauern erst
in den Ruin, dann in den Suizid getrieben. Eine der Methoden sich umzubringen,
ist, die Pestizide zu trinken, ein grausamer Tod. Manche übergießen
sich auch mit Benzin und zünden sich an, andere erhängen sich. Es
wird seit drei oder vier Jahren diskutiert, was man tun kann, unter dessen geht
die Selbstmordwelle weiter.
In Ihrem Buch kritisieren Sie auch das Kastensystem.
Schon Gandhi hat es als Fluch für Indien bezeichnet. Wer als Unberührbarer
geboren wird und es nicht schafft, in die nächste Großstadt zu kommen,
wo die Kastengrenzen verwischen, der wird sein Leben lang auf der untersten
sozialen Stufe stehen - egal wie genial oder bildungshungrig er auch sein mag.
Man kann über das westliche System sagen, was man will, aber in der Hinsicht
ist es sehr viel besser als das indische. Was mich noch mehr frustriert ist,
wie mit den Frauen umgegangen wird.
Was haben Sie erlebt?
In vielen Gegenden Indiens sind Frauen aus unteren Kasten nichts als Sklaven.
Werden nicht bezahlt, müssen schwere körperliche Arbeit machen, sterben
jung, viele von ihnen lernen niemals lesen und schreiben. Und wenn sie dann
in einem gewissen Alter keine Kinder mehr bekommen können oder wenn sie
zu viele Mädchen auf die Welt gebracht haben, werden sie angezündet,
das wird als Unfall gemeldet, die Polizei hat kein Interesse daran dem nachzugehen
und dann such sich der Mann eben eine neue junge Frau. Wenn man solche Geschichten
ständig hört und liest, wenn man sieht, wie die Frauen am Straßenrand
Stein schleppen, während die Männer im Schatten sitzen und die Kommandos
geben, dann fehlt es schwer, das nur unter "kulturelle Unterschiede" zu
verbuchen. Nein, das kann ich nicht akzeptieren, das ist eine Riesensauerei.
Das macht mich unglaublich wütend.
Hatten Sie den Reflex zu helfen?
Das Einzige, was mir übrig bleibt, mit meinem sehr beschränktem Wissen
und Können ist, dass ich Institutionen Geld spende, die helfen. Mein Honorar
für das Buch geht komplett an Ärzte ohne Grenzen. Ich hab ja schon
genug Geld zum Glück.
Aber Sie hatten auch schöne Momente auf ihrer Reise?
Ich habe die Reise insgesamt als sehr erhaben und erhebend empfunden. Das heißt
aber nicht, dass ich die Augen verschließe vor den Problemen, die es dort
gibt.
Was hat Sie am tiefsten beeindruckt?
Wie hilfsbereit die Menschen sind. Einmal im Himalaya ist mir über Nacht
der Diesel in meinem Tank eingefroren. Das halbe Dorf kam mir zu Hilfe, einer
brachte einen tragbaren Kocher, ein anderer hat alle Schläuche durchgeblasen,
ein dritter mit einem Ast im Tank gerührt. Nach zwei Stunden sprang der
Motor wieder an - und die Helfer wollten zum Dank nicht mal ein bisschen Tee
annehmen. Sie haben selbst nichts und geben trotzdem alles, um dir zu helfen.
Das ist so dermaßen rührend, dass man sich schon fragt: Warum gibt
es das eigentlich in unserer wohlhabenden Welt nicht häufiger? |