»Judith ist naturbreit«
Frankfurter Rundschau 16.04.05
Mark Tavassol und Judith Holofernes von der Band „Wir sind Helden“ über Alkohol, mütterliche Instinkte und die Begeisterung für kitschige Texte.

„Wir sind Helden“ haben ein sehr braves Image. Stimmt es, dass Sie keine Hotelzimmer verwüsten und keinen Alkohol trinken?

Mark Tavassol: Nur weil wir nicht ständig besoffen sind und uns nicht laufend übergeben, sind wir noch lange nicht brav. Nur Judith trinkt keinen Alkohol.
Judith Holofernes: Ich finde, besoffen zu sein, hat oft etwas sehr Biederes.
Tavassol: Aber Judith ist als Kind in einen Topf mit Zaubertrank gefallen. Sie ist naturbreit.
Holofernes: Das stimmt. Lustigerweise bemerke ich übrigens auch andersrum nicht, wenn Leute betrunken sind. Es gibt ganz oft Situationen, in denen ich mich wundere, warum Leute aggressiv sind, und wo Pola, mein Freund, mir danach sagt: Der war hackedicht. Hast du das nicht gemerkt?

Tavassol: Pola ist derjenige von uns, der nach einem schönen Konzert richtig abgeht im Tourbus. Es kommt vor, dass er einen Contest im Nackt-um-den-Bus-Flitzen startet. Was natürlich dazu führt, dass andere sich dazu berufen fühlen, die Bustür schnell zu schließen, sodass er nicht mehr reinkommt.
Holofernes: Ich glaube, er möchte ausgeschlossen werden. Er will nicht wieder zurückkommen.
Wahrscheinlich will er endlich raus aus der braven Band.
Holofernes: Ich glaube auch. Er versucht, sich durch wildes Wedeln mit Körperteilen zu befreien.

Okay, das hört sich jetzt schon ein bisschen nach Sex, Drugs and Rock'n' Roll an.

Holofernes: Bei uns sind das eher Sex, Jokes and Rock'n'Roll. Aber ich finde es faszinierend, dass die Tatsache, dass man keinen Alkohol trinkt, einen zum Partymuffel macht. Was ich nicht mag, sind pseudolustige Studentenpartys, auf denen alle betrunken sind und sich dadurch ihre Langweiligkeit rechtfertigen. Meistens ist es zu langweilig zum Tanzen und zu laut, um sich zu unterhalten. Das ist nicht meine Vorstellung von Vergnügen.

Ist Arbeit Ihr Vergnügen? Wenn man Ihr Bandtagebuch im Internet liest, kann man den Eindruck gewinnen.


Tavassol: Ich will nicht sagen, wir arbeiten wenig, aber uns ist schon klar, dass anderswo auch sehr viel gearbeitet wird.
Holofernes: Ich finde es interessant, das Musikerleben zu entmystifizieren. Der Bandalltag besteht aus vielen verschiedenen Dingen. Und auch aus ganz viel Arbeit. Man braucht viel Hingabe und Flexibilität. Für jemanden, der immer zu Hause schlafen und duschen muss, ist das nichts. Aber es ist ein ganz tolles Leben mit ganz, ganz viel Spaß.

Am Anfang haben Sie sogar Ihre Band-T-Shirts selbst bemalt. Immer noch behaupten Sie, alles Wesentliche selbst zu entscheiden. Man kann sich auch weniger Arbeit machen.

Holofernes: Wir haben mittlerweile viele Sachen delegiert, aber wir entscheiden immer noch alles. Deswegen ruft bei uns auch ständig jemand an. Das ist bestimmt kein Weg, mit dem man es sich einfach macht. Aber wir bereuen das keine Minute.
Tavassol: Natürlich konnten wir die T-Shirts irgendwann nicht mehr selbst bemalen. Aber es ist uns wichtig, möglichst viel selbst in der Hand zu behalten. Zum Beispiel werden unsere T-Shirts garantiert nicht von Kindern hergestellt, wir entscheiden, welche Farbe sie haben und welches Motiv darauf kommt. Um den Verkauf kümmert sich jetzt eine Freundin. Wir neigen dazu, Freunden oder Bekannten Jobs zu übergeben, Leute, von denen wir wissen, dass sie gerade was suchen und dass sie das gut können.

Sie schaffen Arbeitsplätze?

Holofernes: Genau - als Einzige in Berlin!

Das dürfte die Bundesregierung freuen. Auf Ihrem ersten Album hatten „Wir sind Helden“ noch dem Konsumaufruf der Politik widersprochen. Die neuen Texte sind persönlicher, nicht mehr politisch.


Holofernes: Ganz ehrlich hatten wir das Gefühl, zum Thema Konsumterror alles gesagt zu haben, was wir für relevant halten und womit wir uns auskennen. Wir wollten nicht schwafeln. Wir sind keine programmatische Band, die sich hinsetzt und sagt: Und dieses Mal teilen wir der Welt Folgendes mit.

Verstehen Sie sich noch als linke Band?

Holofernes: Na hoffentlich! Wir sind nicht weniger politisch als vorher. Und wir verabschieden uns auch nicht aus einer Bewegung, bei der wir uns nie angemeldet haben, weil wir ein Album machen, auf dem intimere, traurigere Lieder drauf sind.

„ Wir sind Helden“ haben Kritik aus der Linken einstecken müssen, Sie seien zu nett und nicht radikal genug.

Holofernes: Mir ist es als Frontfrau und Sängerin sehr wichtig, klarzustellen, dass ich deutlich meine Meinung zu politischen Themen sage, mich aber nicht verpflichtet, irgendjemandes Wut zu kanalisieren, indem ich mich wütender gebärde als ich bin. Ich finde Wut nicht besonders produktiv, Bestimmtheit aber sehr wohl. Man kann an einem Tag sehr viel Positives in die Welt tragen, wenn man es versucht. Das halte ich für sehr kraftvoll und wichtig, nicht Aggression.

Könnten Sie sich vorstellen, für eine Partei einzutreten?

Holofernes: Keine von denen, die es gibt.
Tavassol: Es ist schon so, dass manche Parteien eher passen als andere. Aber sobald du den Namen einer Partei in den Mund nimmst, auch wenn es die ist, die du gewählt hast und die dir am sympathischsten ist, wirst du später gefragt, ob denn der und der Politiker, dem entspricht, was du in einem Lied singst. Deswegen haben wir uns angewöhnt, Parteinamen nicht zu erwähnen, aber man kann sich vielleicht grob vorstellen, welcher Bereich eines Parlaments uns sympathisch ist.

Für was könnten Sie sich ein Engagement vorstellen?

Holofernes: Attac ist im Moment für mich die wichtigste und nützlichste Bewegung. Ich finde es schade, dass sich so viele Leute von denen distanzieren, weil ihnen irgendeine Splittergruppe zu radikal ist oder nicht radikal genug. Mir gefallen am besten die kreativen Flügel, die sich mit „Culture Jamming“ befassen, also damit, Firmenlogos zu verhunzen und damit die Bekanntheit von Konzernen nutzen, um sie aufs Kreuz zu legen. Das finde ich hochpolitisch und sehr unterhaltsam. Es ist deswegen meine Lieblingsform von aktiver Politik.
Tavassol: Was mich persönlich am meisten einspannen könnte, sind lokale Sachen. Man kann nicht sagen, weltpolitische Probleme, Kriege, Terrorismus sind unwichtig. Aber ich merke immer wieder, dass ich am ehesten für die Dinge kämpfe, die ich auch sehe. In Hamburg gibt es den Schanzen-Park, der liegt in einem multikulturell geprägten Viertel, in dem viele Kulturschaffende leben. In diesem Park, der Treffpunkt der eigentlichen Stadtteilbevölkerung ist, soll ein uralter Wasserturm zum Luxushotel umgebaut werden. Dagegen demonstriere ich und beziehe Stellung auf meiner Webseite.

Weltprobleme sind unübersichtlicher.

Holofernes: Wir picken uns da einzelne Sachen raus: Wir haben uns in Tibet engagiert, mit einer Postkartenaktion, um zu verhindern, dass ein Mönch hingerichtet wird. Das macht mir und anderen Menschen mehr Freude, als wenn wir zehn Jahre darüber diskutieren, welcher Partei wir uns unter all denen, die uns nicht passen, vielleicht anschließen können.

Bruce Springsteen und REM sind aufgetreten, um eine zweite Amtszeit von George W. Bush zu verhindern. Wäre so etwas für Sie denkbar?


Holofernes: Wenn es darum ginge, eine CDU-Regierung zu verhindern, wäre ich sehr offen. Das ist noch mal was anderes, als sich für eine bestimmte Partei zu engagieren.

Damit wären Sie dann doch im Fahrwasser der klassischen Deutsch-rocker wie Wolfgang Niedecken und Peter Maffay, die sich für die SPD oder für Rot-Grün engagiert haben.

Holofernes: Bitte?

Im politischen Sinne.


Holofernes: Unter diesem Aspekt ja, aber nur unter diesem.
Tavassol: Musikalisch ist das nicht so sehr zu vergleichen.

Eine weitere Gemeinsamkeit zu den Deutschrockern sind die deutschen Texte. Was macht einen guten Text aus?


Holofernes: Früher war mein Geschmack sehr eingeschränkt, heute mag ich sehr unterschiedliche Texte. Wenn man etwas Eindeutiges sagen möchte, dann sollte man das tun auch, wenn das Gleiche vorher vielleicht schon ein paar mal gesagt wurde.

Auf Ihrem neuen Album hört sich das manchmal sehr nach erhobenem Zeigefinger, schon fast mütterlich an. In einem Stück heißt es „Zieh' dir was an, Mädchen! Wer etwas kann, zieht dann und wann ein bisschen was an.“

Tavassol: Bei uns heißt Judith auch Mutter Beimer.
Holofernes: (lacht) Ja genau. Es ist aber tatsächlich ein mütterlicher Impuls dahinter, weil es ein Lied ist, das sich nicht an dumme Frauen richtet, sondern an die, die einen Beruf haben, die sich nicht ausziehen müssten, um Geld zu verdienen. Es geht um Frauen, bei denen ich es schade finde, dass sie an ihrem eigenen Beruf vorbei arbeiten.

Sonst geht es auf Ihrem neuen Album „Von hier an blind“ vor allem um die Liebe. Gerade weil Sie, Frau Holofernes, mit Pola Roy, dem Schlagzeuger, liiert sind, hat man das Gefühl, sämtliche Beziehungsprobleme und Glücksmomente mitzuerleben.

Holofernes: Nicht jedes Lied, das sich so anhört, ist auch ein Liebeslied. Natürlich ziehe ich für meine Texte viel aus meiner eigenen Herzenswelt, aber es ist tatsächlich so, dass ich im letzten Jahr durch Kontakt mit Leuten, die ich zum Teil gar nicht kannte, viele Dinge erfahren habe, die mich sehr berührt haben. Ich hatte mehr mit anderen als mit mir selbst zu tun. Vielleicht sind diese Erlebnisse der Grund dafür, warum es in manchen Liedern um die Angst geht, einen geliebten Menschen zu verlieren, zum Beispiel durch Trennung. Und vielleicht um die vage Ahnung, dass man darüber irgendwann hinwegkommen kann, dass man im Ernstfall über sich hinauswächst. Melancholische Liebeslieder sind sowieso mein Gebiet.

Aus der Sparte haben wir ein paar Texte dabei. Was halten Sie davon? „In mir, tausend Tränen tief, erklingt ein altes Lied, es könnte viel bedeuten...“.

Tavassol: Das ist Blumfeld. Ein schöner Satz. Ein Text ist nicht gut oder schlecht, weil er sich reimt oder nicht. Es kommt auf die Bilder an.
Holofernes: Ich finde es wichtig, dass deutschsprachige Bands furchtlos auf Gefühle zugehen, manchmal auch über Kitsch-Grenzen hinaus, das hat Rio Reiser häufig gemacht. Der hat so schöne Lieder geschrieben, weil er keine Angst vor großen Gefühlen hatte. Das ist selten und wichtig.

„ Gib uns etwas Zeit, das Fieber steigt, wir sind bald wieder zu Blödsinn bereit.“

Tavassol: Also das finde ich hohl. Das kann genauso gut Matthias Reim wie eine schlechte HipHop-Band sein.
Holofernes: Irgendwie habe ich an „Pur“ gedacht.

Richtig! Jetzt etwas ganz anderes: „Mein Herz ist leer, ich liebe dich nicht mehr. Erfülle mich! Ich rufe bitterlich nach dir. Im Traume zeig dich mir und neig dich zu mir her! Erfülle mich mit dir auf ewiglich! Ich trag's nicht mehr, ich liebe dich zu sehr.“

Holofernes: Entweder was ganz Altes oder Yvonne Catterfeld.
Tavassol: Ich habe etwas leicht Religiöses rausgehört.

Ein Tipp: Es ist was Älteres.

Holofernes: Vielleicht was richtig, richtig Altes, ein Kunstlied. Der letzte Halbsatz datiert das aber weiter in die Gegenwart.

Das ist „Mein Herz ist leer“ von Christian Morgenstern.

Holofernes: Ja. Morgenstern ist ein Stern für mich. Ich kenn' das aber nicht, sondern eher die lustigen Sachen.

Einen haben wir noch: „Ich hab' grad' zärtlich an dich gedacht, wie du behutsam und ganz sacht, mich total verrückt gemacht. Du kamst, wann du wolltest, gingst morgens um acht. Tausend und eine Nacht.“


Holofernes: (singt) Tausend mal berührt, oder?
Tavassol: Nee, das ist nicht Klaus Lage. Der erste Reim klingt fast schon nach einem alten Gedicht.
Holofernes: Es könnte Michelle sein.
Tavassol: Stimmt, könnte ein Schlager sein.
Holofernes: Einer der besser getexteten Schlager.

Das ist „Ich hab' dich lieb“ von Herbert Grönemeyer.

Holofernes: Um Gottes willen, das tut mir leid. Herbert Grönemeyer ist jemand, der es, was Liebeslieder angeht, wirklich drauf hat, eben immer genau diesen speziellen, wahnsinnig hochpersönlichen Punkt zu finden, so dass sich jeder darin wiedererkennt. Ich fand das gerade auch nicht doof.

Herbert Grönemeyer ist jetzt seit über einem Vierteljahrhundert im Musikgeschäft. Sie singen auf der ersten Single : „Wir sind gekommen, um zu bleiben!“ Wollen Sie auch so lange durchhalten?


Holofernes: Vielleicht. Ich schon. Macht ihr mit?
Tavassol: Da muss ich erst mal mit meinen Eltern telefonieren. Aber im Ernst: In dem Lied heißt es auch: „Wir gehen nicht mehr weg, wie ein perfekter Fleck“. Wir sind doch eher der Fleck in der Hose der Musikbranche. Aber der sind wir erst einmal noch ganz gerne.
INTERVIEW: FREDERIK JÖTTEN
UND PETER STEINKE

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