»Ich sage gerne peinliche Sachen über mich«
Frankfurter Rundschau MAGAZIN 05.02.05
Punkveteran Rocko Schamoni über die Hassliebe zu seiner Heimat, erfrischende
Identitätswechsel und Gemüsebombardements auf der Bühne.

Teil 1 Teil 2

Rocko Schamoni, Sie bezeichnen sich als "romantischen Dissidenten mit Sex-Appeal". Was müssen wir uns darunter vorstellen?

Es ist ein bewährtes Prinzip von mir, eine Behauptung aufzustellen, in der
so viel Wahrheit steckt, dass man denken könnte, die Beschreibung stimmt. Und dann etwas dazu zu packen, wofür sich andere schämen. Ich sage gerne peinliche Sachen über mich.

Sie nannten sich auch schon Monsieur 70 Volt, Dr. Love oder Discotier. Allesamt Erfolgstypen, auf der Bühne und bei den Frauen. Wie machen Sie das?

Wenn man permanent behauptet, super zu sein, wird das irgendwann auch so angenommen - man muss es nur mit positiver Energie füllen. Einer der Erfinder davon ist Adriano Celentano. Die Superkeit steckt natürlich in vielen Details, aber am stärksten in der Behauptung.

Welche Identität ist Ihnen die liebste?

Ich habe keine liebste Identität, das Erfinden ist das eigentliche Ziel. Die Rolle hält einen Tag, einen Monat oder manchmal ein Jahr. Discotier war ich über zwei Platten, ich wollte es eigentlich noch viele Jahre sein, aber jetzt ist mir dieses Wesen nicht mehr so wichtig.

Heißt das, Sie gehen nicht mehr in die Disco?

Doch, ich bin ja Mitbesitzer des Golden Pudel Clubs in Hamburg und da läuft schon Tanzmusik. Allerdings ist dieser Laden eng und klein und größere Menschenansammlungen machen mich nervös. Deshalb stehe ich im Pudelclub immer draußen, ich bin quasi die Discotür, nicht das Discotier.

Man hörte mal, Sie hätten Ihren Anteil am Pudelclub versoffen.

Die Information ist nicht ganz falsch. Vor Jahren sind Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen und ich ausgestiegen, weil unser Kompagnon Norbert einen, sagen wir mal, eigenwilligen Führungsstil hatte. Wir haben dann gesagt, wir wollen ausgezahlt werden, und Norbert hat das mit Freigetränken gemacht - was aber nie ganz beglichen wurde, weil wir so viel nun auch nicht trinken konnten. Vor einem halben Jahr ist Norbert leider gestorben. Wir haben den Laden wieder übernommen - und müssen deswegen weiter trinken.

Sie kommen aus der Kleinstadt Lütjenburg in Schleswig-Holstein und waren dort Mitte der 80er Jahre einer der ersten Punks. Wie kam es dazu?

Über Legendenbildung. Ich hatte gehört, das wäre das Coolste und das Härteste, härter als AC/DC sogar. Und auch am modischsten, aber nicht im schnöseligen, sondern avantgardistischen Sinne. Damit bist du weit weg von den Hässlichkeiten einer Gesellschaft, die du nicht magst, so habe ich das damals verstanden. Als ich vierzehn war, habe ich mir die Haare mit der Nagelschere geschnitten. Mein Kopf sah aus wie ein räudiger Fellball - und ich war Punk.

Stimmt es, dass Sie einen Punk-Verein gründeten?

Es gab den "Klub der Gemeinen", ich habe den Mitgliedsausweis letztens wieder gefunden. Es war einer von vielen Versuchen, "anti" zu sein, nicht gut zu sein, sondern "bad" im Sinne von Michael Jackson. Meine Mutter hat damals sehr gerne die Worte "lieb", "nett" und "süß" gebraucht, um zu sagen, dass sie etwas gut fand. Alles, was ich versucht habe zu der Zeit, war, das Gegenteil zu sein.

Welches war Ihre gemeinste Tat?

Das ist mir ein bisschen peinlich, das ist so lausbübischer Kram gewesen. Mit dem Ausweis durfte man hinpinkeln, wo man wollte, saufen auch und man durfte Sachen kaputt machen, staatlich und polizeilich anerkannt. Wir haben sogar versucht, mit dem Punkausweis in die DDR einzureisen. Das war das Beste. Wir haben uns vorgedrängelt, so wie Diplomaten. Motto: Vorne erst mal die Bürger mit Punkausweis! Der wurde natürlich von den Grenzern immer weggehauen, was das solle. Die hatten keinen Humor. Aber wir fanden es großartig, das einfach mal zu versuchen.

Es war aber wohl nicht nur lustig in Ihrer Jugend. In "Dorfpunks", Ihrer Jugend-Autobiografie, beschreiben Sie den Hass gegenüber dem Land-leben als Ihren Antrieb.


Der Hass auf den Kleinstadtmuff, auf die reaktionären Leute, die dich verfolgen oder die dich verletzen wollen, hat eine entscheidende Rolle gespielt. Aber ich möchte den auch als positive Energie verstanden wissen, um mich zu definieren. Das Widersprüchliche daran ist, dass wir diesen Tristesse-Kompressor brauchten. Wir brauchten das Dorf, um zu üben, die eigenen Grenzen zu sprengen. Das gelingt einem auf dem Land wahrscheinlich besser als in der Großstadt, wo alles geboten ist, Kino, Konzerte und so. Auf dem Land musst du alles selbst erfinden, dein Unterhaltungsprogramm, deine Bildung.

Musik war Ihre Flucht. Anfangs spielten Sie in Bands wie "Die Götter" und
den "Blockflöten des Todes".


Wir hießen erst "Warhead", dann "Public Enemy No 7", später "Die Götter". Zu dem Zeitpunkt haben wir gemerkt, dass wir keinen knall-harten Politpunk machen müssen, um dagegen zu sein. Kurz bevor ich mit meinem Kumpel Partyschaum "Die Amigos" gründete, gab es die "Block-flöten des Todes". Mit einem Nasenloch bedienten wir die Blockflöte, und dazu haben wir gesungen.

Aber schon bald sind Sie wieder auf die Gitarre umgestiegen - und haben mit den Toten Hosen gespielt.

Ich habe die Hosen auf ihrer ersten Tournee 1984 kennen gelernt, Campino war auch Mitglied im "Klub der Gemeinen". Nach einem Konzert in Berlin sagte er zu uns: "Wenn ihr Bock habt, schnappt euch die Instrumente und spielt." Natürlich hatten wir Lust. Aber dann hat mein Kumpel Partyschaum aufgrund von Trunkenheit die Gitarre total verstimmt. Das hat eine Viertelstunde gedauert. Als wir anfingen zu spielen, war die Halle leer. Das war sehr frustrierend. Ich war nicht so betrunken und hatte die große Chance für uns Dörfler gesehen.

Später waren Sie dann aber doch im regulären Vorprogramm von den Toten Hosen zu sehen.


Ja, das war dann so 1988, als das mit den Hosen richtig los ging. Ich war Solobarde, angeblich aus Las Vegas, mit Glam Show und so. Die Leute haben rabiat mit Gemüse, Maiskolben und so, geschmissen. Das habe ich nie länger als eine Viertelstunde durchgehalten.

Ihr Publikum und das der Toten Hosen ist ja auch sehr verschieden, zumindest heute.

Damals gab es noch eine gewisse Schnittmenge. Aber das ging dann bald
auseinander, weil die Hosen schnell in großen Hallen spielten. Bei mir gab
es dann eine ganz willentliche Abkehr. Was die Hosen machten, war Mainstream, und ich wollte Underground sein. Das waren inhaltliche Probleme, aber das ist alles längst vom Tisch.

Sie sollten Ende der 80er das Erbe der Ärzte antreten, die sich damals
gerade aufgelöst hatten.


Ja, das war so eine Idee der Polydor, meiner damaligen Plattenfirma. Ich war sogar auf dem "Bravo"-Cover, habe oben aus dem "O" herausge-guckt. Und drin war ein halbseitiger Bericht, ich mit Bela B. von den Ärzten in Österreich beim Wandern.

Aus der großen Karriere wurde dann aber nichts.

Die erste Platte hat sich damals 13 000-mal verkauft, was ganz gut war. Aber die Plattenfirma hat großen Verlust gemacht, wegen der hohen
Produktionskosten und der Werbekampagne. Ich war in allen Großstädten in doppelter DIN A0-Größe plakatiert. Ich habe mich wirklich geschämt, bin nur noch mit Spiegelbrille rausgegangen.

Viele würden sich über solchen Ruhm freuen.

Wenn es im Kiez heißt, da kommt der Typ, der an jeder Straßenecke hängt? Mir war es peinlich. Ich wollte zwar schon bekannt sein, aber nicht so. Es gab damals ganz schnell den Vorwurf von Angeberei. Und ich habe immer viel Wert darauf gelegt, auf dem Boden zu bleiben, mit den Leuten in meinem Viertel auf einer Ebene zu stehen.

Vom massentauglichen Punkrock à la Tote Hosen haben Sie sich ferngehalten - und ab Mitte der 80er Schlager gemacht. Als dann das Schlager-Revival kam, waren Sie schon wieder weiter. Sie wollten keinen Erfolg?

Vor ein paar Jahren stand ich an der Straße in St. Pauli und da kam der Schlagermove vorbei, 160000 Leute. Ich musste in diesem Moment anerkennen: Ich trage Mitschuld. Als wir 1984 mit Schlaghosen im Jugendzentrum standen und Udo-Jürgens-Parodien machten, hätte ich niemals gedacht, dass Schlager wirklich noch mal populär werden würden. Wir dachten: Das ist anti, anti, anti. Das war nicht einmal in unseren Punkkreisen verständlich. Und Jahre später ist es dann ganz platt gewesen - erschreckend.

War es wirklich Absicht, dass Sie immer knapp am ganz großen Erfolg vorbei geschrammt sind?

Ich habe da eine so genannte Fürchtermentalität. Immer dann, wenn es anfing, größer zu werden, bin ich abgesprungen. Weil es dann langweilig wurde. Mein Prinzip ist: Kleine Scholle Land entdecken, auf der niemand ist, bearbeiten, wenn viele nachkommen, möglichst schnell wieder runter. Und neuen Freiraum entdecken. Es gibt nur noch wenig zu entdecken jetzt, zumindest in meinem Alter, aber ich habe meine kleine Lücke jetzt auch ganz gut abgesteckt, da kommt nicht jeder drauf.

Disco-Soul mit politischen Texten, könnte man Ihre Musik nennen. Statt „Building a bridge to your heart“ singen Sie „Wehre dich gegen den Staat“, zu dem gleichen Poparrangement wie einst „Wax“ in den 80ern. Wollen Sie damit zur Revolution aufrufen oder sich über einen solchen Aufruf lustig machen?

Nein, ich mache mich gar nicht lustig. Ich bin immer noch jemand, der an die Idee von Revolutionen glaubt. Ich glaube aber, dass unter den Bedingungen, unter denen wir jetzt leben, ein revolutionäres Bewusstsein nicht entstehen kann. Die Leute sind ruhig gestellt, durch Fernsehen, durch Unterhaltung, durch Mindestversorgung, deshalb gibt es kein Aufbegehren.

Gegen was würden Sie denn revoltieren?

Die Frage nach dem Sinn der Revolution ist deshalb so schwer zu beantworten, weil die Menschen hier ein subjektiv freies Leben führen. Sie können zu jeder Zeit machen, was sie wollen. Das ist ein getarntes Gefangensein. Wenn man an Verschwörungstheorien glaubt, kann es schon fast clever eingerichtet wirken. Ist es aber nicht, weil die Leute sich so entwickelt haben. Es gibt keinen, der da oben steht und das System zusammen hält. Denn den könnte man dann stürzen und alles wäre gut. So einfach ist es nicht mehr. Es liegt in jedem Einzelnen, man bräuchte eine komplette Bewusstseinsveränderung, um eine Welt zu schaffen, die besser wäre. Und die Abschaffung von Organen wie „Bild“ und „Pro Sieben“.

Rocko Schamoni ist gegen Pressefreiheit?

In dem Fall schon.

Welches politische System würde Ihnen denn vorschweben? Von der Demokratie scheinen Sie nicht viel zu halten. „Ich gehe nicht zur Wahl, auch zur Arbeit gehe ich nicht“ heißt es in einem Ihrer Lieder.

Das sind so anarchistische Grundprinzipien. Leistungsverweigerung, nicht wählen gehen. Ich kann von mir aber nicht ernsthaft behaupten, dass ich Antidemokrat bin, weil ich davon profitiert habe, wie es ist. Es gibt aber viele Dinge, die in unserem Staat ungerecht sind, die, zum Beispiel wenn es um Kultur geht, teilweise repressiv sind.

Die Bundesregierung will die Radiosender jetzt dazu bewegen, zu 35 Prozent in Deutschland produzierte oder auf Deutsch gesungene Musik zu spielen.

Diese Deutsch-Quote im Radio, das ist eine falsche Debatte. Es geht nicht um deutsche Sprache, es geht um Qualität. Und darum, zu erklären, was gut ist, was wichtig ist, was den Leuten vielleicht mehr sagen kann als die neue Jeanette Biedermann. Im Fernsehen haben wir die grauenhaften Vorkommnisse der letzten Jahre mit „Deutschland sucht den Superstar“ alle noch vor Augen, alles vollkommen inhaltsleer. Das ist Massenvergewaltigung.

Scheinbar wollen viele Leute genau das sehen und hören.

Aber von den schönen, spannenden, anregenden Projekten, bekommen die meisten Menschen nichts mit, es wird nur Durchfluss serviert. Es gibt keinen Mut in den deutschen Medien, auch nicht in der deutschen Radiolandschaft, in Hamburg ist es besonders desaströs. Meine Sachen werden in Österreich 100-mal öfter gespielt als in Hamburg. Oder deutsche Bands wie Tocotronic oder Blumfeld, die richtig viele Platten verkaufen, die könnte man doch mal im Radio spielen. Aber auf die Idee kommt keiner. Es ist eine Frechheit. Und ich bezahle noch GEZ-Gebühren.

Haben Sie noch das Ziel, durch Ihre Musik etwas zu verändern?

Gesellschaftliche Veränderungen sind sicherlich nicht möglich durch Kunst. Kunst kann höchstens ein Impulsverstärker für politische Bewegungen sein, so wie Musik in den 60er Jahren. Der eigentliche politische Prozess entsteht aber nicht durch Kunst, sondern muss aus der Gesellschaft heraus kommen.

Der Protestsong ist tot?

Man kann heute nicht mehr eins zu eins sagen: „Wehre dich gegen den Staat“. Ich bewege mich mit meinen Songs oft in einer Mischebene, schaffe dabei Verwirrung, auch in mir, weil ich selber gar nicht weiß, was das heißen soll. Und dieses Fragezeichen, was in mir und den Zuhörern entsteht, ist das, was ich eigentlich erzeugen will.

Linke haben Ihren Humor oft nicht verstanden.

Das freut mich. Die Linke ist komplett humorlos, noch viel humorloser als die Konservativen. Jemand wie Franz Josef Strauß hatte wenigstens noch so einen krachenden Schenkelklopfer-Humor. Aber die Linke war immer total ausgetrocknet, zumindest die, mit deren Zielen ich mich identifizierte. Das hat mich immer sehr gestört, dass das alles so blutleer war, dass da nie auch nur die Möglichkeit bestand, sich selber mit der eigenen Position in Frage zu stellen, sich über sich selbst lustig machen zu können. Die Doktrinen waren immer so stark, dass man etwas behaupten musste mit aller Ernsthaftigkeit. Und dadurch war die Linke immer so unannehmbar für ganz normale Leute. Weil das alles so erdacht wirkte und nicht lebendig.

Obwohl Ihre Heimat meist nicht gut wegkommt in Ihrer Autobiografie, wird Ihr Humor dort mittlerweile geschätzt. In der Schule wird Ihr Buch „Dorfpunks“ gelesen, man wollte Sie für eine Lesung engagieren.

Ja, es passieren ganz erstaunliche Sachen. Angeblich will ein Studienrat, dass ich an meiner ehemaligen Schule einen Kurs gebe über Punk und Dissidenz in den 80er Jahren. Diese Schule war ernsthaft die Hölle für mich. Ich würde die Einladung gerne annehmen, aber dann müsste ich erst klären, dass ich nicht für etwaige Schäden aufkomme. Denn wenn ich dahin gehe, muss ich aufrufen zur Revolte und dazu, diese Schule zu zerstören - und zwar komplett.

Wie sehen Sie Ihre Heimat im Rückblick?

Ich habe die Gegend immer sehr geliebt, ich bin auch die ganzen Jahre immer viel dort gewesen. Es gibt dort Ankerpunkte, Freunde und Orte, die mich festhalten. Ich pendele im Sommer oft da- hin mit meiner kleinen Familie.

Versöhnliche Töne vom ehemals aufrührerischen Punk. In Ihrer Auto-biografie beschreiben Sie auch Ihre Eltern liebevoll - obwohl Sie in Ihrer Jugend schlecht mit ihnen klar kamen.

Im Nachhinein fällt mir die Ratlosigkeit und die Ohnmacht meiner Eltern auf. Wenn ich mich in deren Rolle versetzte, begreife ich heute, dass diese Zeit für sie Terror gewesen sein muss. Ich war komplett entglitten und auch ernsthaft ständig in der Gefahr, schwer verletzt oder getötet zu werden. Wir kamen immer mit Verletzungen nach Hause, je schlimmer, desto besser. Das war für meine Mutter eine extreme nervliche Belastung.

Ihr haben Sie das Buch gewidmet.

Ja, es sollte nichts mehr übrig bleiben, von meinem früheren Hass. Ich wollte besonders meinen Eltern erklären, wie ich früher gedacht habe. Meine Mutter ist leider vor zwei Jahren gestorben. Ich hätte ihr das Buch am liebsten geschenkt, weil wir uns nach all den schwierigen Jahren zum Schluss wieder vertragen haben. Aber ich habe es zu spät fertig bekommen.

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