»Der Pfarrer steckt immer noch in mir«
Frankfurter Rundschau MAGAZIN 31.12.04
Lebensratgeber Werner Küstenmacher über die Kraft des Glaubens, das Entrümpeln von Freundschaften und den langen Weg zum glücklichen Simpel.

Teil 1 Teil 2

Herr Küstenmacher, haben Sie heute schon in den Himmel geschaut?

Ja, aber der Himmel heute - der bringt's nicht. Dieses milchige Grau, das
ist schwach. Das zieht mich echt runter.

Was bringt Ihnen der Himmel, wenn er blau ist?

Wenn ich in dieses unendliche Blau sehe, dann spüre ich: über mir beginnt die Unendlichkeit. Wenn ich diese Dimension einatme, dann kommen die Dinge an ihren Platz, ich merke, wie wichtig oder unwichtig sie sind. Deshalb gebe ich meinen Lesern den Rat, jeden Tag fünf Minuten in den Himmel zu schauen.

Das Leben kann so einfach sein, wenn man Ihrem Buch "simplify your life" glaubt. Warum machen es sich die Menschen so kompliziert?

Wir machen es uns wahrscheinlich gegenseitig kompliziert. Das Leben ist in Wirklichkeit nicht einfach. Der menschliche Organismus ist ja auch
unglaublich komplex. Und so ist, glaube ich, auch das menschliche
Zusammenleben.

Das klingt in Ihrem Buch aber anders. Sie schreiben: "Viele Menschen finden den Sinn ihres Lebens nicht, weil sie zu komplizierte Fragen stellen. Weil sie nicht ahnen, wie einfach es wirklich ist."

Das ist ein Komparativ. Ich will das Leben einfacher machen. Wenn wir die vielgestaltigen Sachen, die wir erleben, reduzieren können, dann erscheint uns das Leben sinnvoll. Es gibt Menschen, die einen Faden haben und darauf die Perlen ihres Lebens auffädeln. Menschen, die diesen Faden nicht haben, sehen überall sehr viel und erkennen keinen Sinn drin. Das meine ich mit kompliziert.

Womit sollte man anfangen?

Mit dem, was einen am meisten nervt. Das Buch hilft zu analysieren: Wo kann ich anfangen? Dieses Gefühl, unzufrieden zu sein, ist oft sehr diffus. Zu wenig Zeit, Geldprobleme, Schreibtisch zu voll und so weiter. Bei den
meisten Leuten ist das vorrangige Problem: Sie haben unglaublich viele
Sachen in ihrer Wohnung, die sie blockieren.

Aber die Politiker sagen doch, wir sollen mehr kaufen.


Das ist zu kurzfristig gedacht. Was wir nicht brauchen, sind Leute, die sich in China hergestellte Sachen anschaffen, wir brauchen Menschen, die Dienstleistung kaufen. Dazu rufe ich auf. Lasst euch helfen! Delegiert, macht nicht alles selber, macht euch nicht kaputt.

Das kann sich aber nicht jeder leisten.

Aber wir delegieren doch ständig. Das Problem ist, dass es in Deutsch-land wahnsinnig schwierig ist. Wir versuchen gerade, eine Putzfrau ordentlich anzumelden. Was das für ein Aufwand ist, ist absurd. Solche Sachen lasse ich mittlerweile meine Steuerberater machen, das habe ich praktisch auch delegiert.

Sie raten ja auch dazu, sich einen neuen Job zu suchen, wenn man in seinem alten unzufrieden ist. Da sind doch gerade heute die Möglich-keiten begrenzt.


Das sehe ich völlig anders. Ich predige immer: Erwartet euch keine Hilfe,
nicht vom Staat, vom lieben Gott oder von Wundern. Macht es selbst. Gute Leute werden immer noch gesucht. Aber viele Leute krallen sich heute an ihre Sessel. Das höre ich oft von Unternehmern. Die Menschen haben Angst. Die bleiben unzufrieden in ihren Berufen stecken. Also da rate ich immer: Haltet fest an eurem Traum! So schrecklich verändert haben sich die Rahmenbedingungen doch nicht.

Wie kann jemand seinen Traum verwirklichen, der einen Hilfsarbeiter-Job
macht?


Ich kenne auch ein paar Fabrikarbeiter, die haben zum Teil ganz fantastische Möglichkeiten - wenn man die mal konkret kennt. Es ist doch ganz typisch. Wir erfinden uns immer jemand anderen. Reden wir doch mal von uns und nicht von diesen "Fällen" aus den Medien.

Aber die gibt es doch.

Natürlich gibt es die. Aber es ist doch so: Das Leben kommt einem
kompliziert vor, wenn man gelebt wird und nicht lebt. Man ist glücklicher,
wenn man selber bestimmen kann. Und das ist vollkommen unabhängig von der Einkommenshöhe. Ich bin jetzt in einer hohen Einkommensklasse durch diesen Bucherfolg, mein Leben ist aber komplizierter geworden, weil ich mehr von außen gesteuert werde. Als ich selbstständig war und ganz normal verdient habe, war das für mich das absolute Glückslevel.

Die meisten Menschen müssen an ihrem Arbeitsplatz wohl mehr Fremdbestimmung ertragen als Sie als Freiberufler. Was raten Sie denen?

Das ist ganz individuell. Ich habe neulich mit einer Kassiererin im Kaufhaus gesprochen, die war wirklich toll. Die geht jeden Morgen dahin und weiß genau, welche Sachen sie nicht ändern kann. Sie kann die Ladenschlusszeiten nicht ändern, sie kann diese und jene Arbeitsbeding-ung nicht ändern, aber sie kann zum Beispiel ändern, wie sie mit den Kunden spricht. Wie ihre mentale Verfassung ist. Sie war eine echte Simplifyerin.

Weiter gedacht bedeutet das doch, dass man gar nicht versucht, etwas zu ändern.

Die Kollegin der Kassiererin jammert den ganzen Tag, dass bis 20 Uhr gearbeitet werden muss. Es gibt auch Leute, die sich einreden, dass sie am falschen Platz und unterdrückt sind.

Sie raten Ihren Lesern direkt, sich zu beschummeln, um glücklicher zu sein. Sie schreiben zum Beispiel: "Entdecken Sie das Gleichnishafte Ihrer Arbeit, wenn Sie den Teppich saugen oder die Fliesen putzen."

Man kann sagen, Fliesenputzen ist die schrecklichste Sache der Welt, ich
hasse es, aber ich mache es. Man kann aber auch sagen, ich höre schöne Musik dabei oder ich denke mir was Lustiges dazu aus. In welchem Fall ist man glücklicher?

Was bedeutet Glück für Sie?

Wenn ich das bekomme, was ich mir wünsche und vielleicht noch ein bisschen mehr. Bei mir hat das sehr viel mit dem Anteil von Fremd-bestimmung zu tun. Zeit, die mir selber gehört, macht mich glücklich. Wenn alles zu voll ist, dann wird es anstrengend. Ich habe das Gefühl, mein Leben hat eine Tendenz, aus Strukturen, die mich beengen, auszubrechen.

Waren Sie selber mal ein Chaot?

Ich bin kein Superchaot, ich bin aber auch kein total durchorganisierter
Mensch. Aber es gibt tatsächlich Themen, bei denen ich mir sehr schwer tue. Das Thema Zeitplanung zum Beispiel. Wie man alles in die 24 Stunden des Tages unterkriegt - da versuche ich mich ständig aufs Neue zu überlisten und Methoden zu finden, mit denen ich dann doch zurecht komme. Eben habe ich einen Artikel über "Aufschieberitis", wie ich das nenne, geschrieben.

Sie leiden unter Aufschieberitis?

Absolut! Ich habe da auch ein Theorie: Durch die Aufschieberei sorgt das
Unbewusste dafür, dass ich nicht gleich anfange zu arbeiten. Dadurch
verschafft einem das Unterbewusste Pause und Ruhe. Wahrscheinlich hält uns das am Leben. Wenn man immer nur voll arbeiten würde, würde man einen Herzinfarkt kriegen.

Warum arbeiten Sie dem dann so entschieden entgegen?

Weil ich glaube, dass darin auch ein selbstzerstörerischer Ansatz steckt.
Wenn ich weiß, ich muss den Artikel bis zum 8.1. geschrieben haben, dann fange ich am 7. an. Obwohl ich genau weiß, das wird nichts. Da führt einen das Unterbewusstsein zum Scheitern. Und das ist negativ. Also muss man das selbstzerstörerische Potenzial erkennen und abbauen.

In Ihrem Buch geben Sie über 20 Seiten Tipps gegen die "Aufschieberitis" und Sie leiden selbst noch darunter?

Absolut. Das ist doch der große Irrtum bei Lebenshilfe-Büchern. Wenn man es gelesen hat, ist man noch nicht da. Wenn man das auch wirklich umsetzt, dann ja. Davon bin ich nach wie vor überzeugt. Also ich lese "simplify your life" selber immer wieder mit großem Gewinn.

Sie versprechen Ihren Lesern, den Sinn und das Ziel ihres Lebens zu finden, wenn sie den Simplify-Weg gehen. Ist das nicht vermessen, wo es Sie selbst noch nicht mal geschafft haben?


Ich finde es vermessener, wenn jemand sagt, er habe es geschafft. "Machen Sie's wie ich, dann werden Sie genauso." Da regt sich bei mir der Widerstand. Die Idee ist nicht der perfekte, total durchorganisierte Idealmensch, sondern einer, der immer wieder an sich arbeitet. Trotzdem liebe ich Bücher, die mir etwas Großes versprechen. Wenn da drin stünde, "wenn sie diese 400 Seiten gelesen haben, werden Sie vielleicht ein kleines bisschen glücklicher", dann würde ich das nicht lesen.

Große Versprechen verkaufen sich auch besser.

Ja, natürlich. Ich weiß noch, als ich das Vorwort geschrieben habe, war ich in einer Art Rausch. Ich wollte auf die Kacke hauen, eine große Stimmung erzeugen. In der Bibel gibt es auch solche schönen Geschichten. Jesus kommt in die Stadt und alle haben eine große Erwartung. Und das funktioniert natürlich auch. Dann passieren Wunder.
Jetzt predigt Pfarrer Küstenmacher? Klar, der Pfarrer steckt immer noch in mir. Ich glaube auch, dass Jesus so
eine Art Karikaturist war. Der hat auch Sachen auf den Punkt gebracht. Es sind zwar keine Cartoons von ihm überliefert, aber seine Gleichnisse. Und die übertreiben und vereinfachen Dinge ganz stark. Da sehe ich mich in gewisser Weise in einer Tradition. Alles, was wir Lebenshilfeautoren machen können, ist, neue Metaphern zu finden. Die Tipps, die wir geben, sind ja immer die gleichen.

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